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Ach, wie war es doch vordem: Weihnachten in der DDR
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Geschrieben von Reinhard Ulbrich   
Wednesday, 31 December 1997

... dann steht die Jahresendflügelfigur vor der Tür

Nun ist es bald wieder soweit. In genauer Erfüllung der hochgesteckten Ziele unseres Zwölfmonatsplans nähert sich nun das Jahresende. Wie wir aus dem Studium der Klassiker wissen, handelt es sich dabei um eine besinnliche Zeit. Sie gibt uns Gelegenheit zur Rückschau auch auf jene Formen ostdeutschen Wehnachtsbrauchtums, die zwar seit  acht Jahren der Vergangenheit angehören, aber dennoch unser völkerkundliches Interesse verdienen.

Schließlich war es einfach großartig, wenn die abschließende Ernteschlacht hinter uns lag und der letzte aller vier Feinde des Sozialismus (Frühling, Sommer, Herbst, und Winter) sich anschickte, Einzug zu halten. „Morgen, Kinder wird’s was geben“, klang es hoffnungsfroh aus dem Radio. Nur der staatliche Einzelhandel hatte davon natürlich wieder kein bisschen mitbekommen, denn es gab bei ihm auch morgen nur das Übliche, nämlich nichts. Oder sagen wir so: Außer dem fehlenden Frischobst war nun auch noch kein Zitronat im Angebot.

Seit Wochen schon zermaterten sich die Weihnachtsmänner des Politbüros die Köpfe darüber, welche Art von Südfrüchten sie durch Umschichtung der ewig schwindsüchtigen Devisenvorräte noch herbeizaubern konnten. Und das Ergebnis war wie immer absehbar – es würde die gefürchteten Kuba-Orangen geben, kleine gummiartige, völlig ungenießbare Kullerchen, die sich heute im Westen als Flummis verkaufen ließen.

Aber heimelig war’s doch: Der Strom schwankte zum Beispiel so nett, dass alle Glühlampen flackerten und ganz von selbst Kerzenschein stimulierten. Und in der Neubauwohnung war die Gemütlichkeit kaum noch zu ertragen, denn die Heizung ließ sich nicht drosseln, so dass man immer mehr Fenster aufreißen musste, je kälter es draußen wurde. Das war aber keineswegs schlecht, denn man konnte auf diese Weise ein Wort mit seinen Nachbarn aus der Hausgemeinschaft wechseln und erfuhr ganz beiläufig, dass in der HO-Kaufhalle die ersten Leckereien zum Fest eingetroffen sein sollten. Also nichts wie hin und selber nachgesehen. Es waren dann doch nur die üblichen Weihnachtsschokoladenhohlkörper, die statt nach Kakao immer nach Mehl schmeckten, und dazu jener zuckersüße Fondant-Baumbehang, den der staatliche Zahnarzt seinen Lieben schenkte, damit er über die Feiertage das Plombieren nicht verlernte. Immerhin: Uns war bei dieser Gelegenheit der Baum eingefallen. Den mussten wir ja auch noch besorgen.

Auf dem Verkaufsgelände herrschte schon Hochbetrieb. Vor den Augen eines gelangweilten Kassierers schichteten mehrere Dutzend Familien irgendwelche grünen Gebilde um, die eher an plattgedrückte Grabdecken als an richtige Nadelbäume erinnerten. Der laufende Meter kostete um die zwei Mark, so dass man sich oft gleich zwei Stück davon leistete. Zu Hause angekommen, wurden die Äste eines Exemplars sorgfältig abgesägt und mit Hilfe des Klebstoffs Duosan Rapid ringsum in den Stamm des zweiten implantiert. Fertig! Professor Brinkmann wäre angesichts dieser chirurgischen Fingerfertigkeiten vor Neid erblasst, aber er ahnte im fernen Schwarzwald wahrscheinlich gar nichts von unseren kniffligen Operationen.

War ja auch egal, Hauptsache Tante Trudchen aus Bochum dachte an uns, am besten in Form eines Westpakets. Knallmeier-Kaffee und Pilmolav-Seife, die wirklich schäumte, würde uns dann beglücken. Hoffentlich auch ein bisschen Blei-Lametta, andernfalls war Bügeln angesagt: Die alten Ost-Stanniol-Streifen vom Vorjahr mussten mit dem Weisen wieder sorgfältig geglättet werden, damit sie wenigstens zur Bescherung einigermaßen glatt an den Zweigen hingen. Lange hielt das ohnehin nicht vor, denn sobald jemand den Strassfurt-Fernseher einschaltete oder mit einem elektrisch aufgeladenen Wolpryla-Pullover vorbeiging, klappte der Baum so schlagartig das Lametta hoch wie sonst höchstens noch Knecht Ruprecht die Rute.

Apropos Fernseher. Das Feiertagsprogramm/West hatten wir ja schon in einer eigens von der ARD zu diesem Zwecke eingerichteten Diktierstunde persönlich zu Papier gebracht. Aber was sie im Osten ausstrahlen würden, blieb unklar. Die einzige Fernsehzeitung FF Dabei war reine Bückware, das heißt, man bekam sie nie auf dem Ladentisch zu sehen, von exotischen Zuständen wie einem Abonnement ganz zu schweigen. Am ersten Feiertag würde wahrscheinlich wie immer die Sendung Zwischen Frühstück und Gänsebraten kommen. Deren Moderator litt leider an einer gleichermaßen verbreiteten wie unheilbaren Berufskrankheit – der zwanghaften Vorstellung, komisch zu sein. Auf diesem Gebiet hatte er jedoch mit starker Konkurrenz zu kämpfen, wenngleich aus unerwarteter Richtung: Die alljährliche Neujahrsansprache der Gattin des Parteichefs war nämlich ernst gemeint, aber trotzdem an Komik kaum zu überbieten.

Doch bis zu diesem Höhepunkt der sozialistischen Unterhaltungskunst mussten noch ein paar Hürden genommen werden. Zunächst galt es, die Gaben für den gleichnamigen Tisch zu besorgen. Mutti wünschte sich Pumps aus der Gestattungsproduktion (Nur wo Salaman der draufsteht, sind auch Banner-Schuhe drin). Die kosteten zwar ein Heidengeld, aber wir hatten ja unsere Jahresendprämie in der Tasche. Dort gehörte sie auch hin, denn der Betrag ähnelte weniger einem 13. Monatsgehalt als einem zweiten Taschengeld. Immerhin – für Oma gab er sogar noch eine Aschachtel Rotstern-Pralinen her, bekannt und beliebt für ihre leichte Gipsnote. Zum Schluss für den Sohnemann noch ein Plüschbären der Sorte Mischka erworben – wegen der Freundschaft zur Großen ruhmreichen Sowjetunion – und das war’s dann.

Nein halt, noch nicht ganz. Ein paar Tage vor dem Fest rief uns ja noch das Arbeitskollektiv zum geselligen Beisammensein; dort stand nämlich die Brigadefeier auf dem Programm. Bei dieser kollektiven Maßnahme mussten unbedingt die letzten Reste des gewerkschaftlichen K- und S-Fonds verbraten werden, denn auf diesem Gebiet war die deutsche Einheit schon lange vor 1990 vollendet: Wer zum Jahresende noch zweckgebundene Mittel übrig hatte, bekam sie auch im Osten zum nächsten Jahr garantiert gekürzt. Der Zweck K und S bedeutete eigentlich Kultur- und Sozial-, dich er erfuhr auf der Feier stets die praktische Übersetzung in Korn und Salzstangen.

Solchermaßen beschwingt wieder zu Hause angekommen, konnten wir schließlich darangehen, die Weihnachtsutensilien aus den Schränken zu holen: jenen Schwibbogen zum Beispiel, den wir in wochenlanger Heimarbeit selbst gesägt hatten, weil die erzgebirgischen Originale immer in den NSW-Export gingen. Das hieß „Nichtsozialistisches Wirtschaftsgebiet“ und belegte sehr schön den berühmten ostdeutschen Aküfi (Abkürzungsfimmel). Eine andere Schachtel, die wir hervorzogen, trug dagegen eine ganz und gar nicht abgekürzte Bezeichnung, nämlich Jahresendflügelfigur. Drinnen steckte jedoch ein Christkind oder Weihnachtsengel, aber nie im Leben Jahresdings, - na Sie wissen schon.

Als dann endlich alles beieinander war, konnten wir uns zufrieden, wenn auch etwas ermattet, in den Sessel fallen lassen. Als Jäger und Sammler waren wir auch diesmal wieder unschlagbar gewesen. Und was konnte es Schöneres zum Lohn geben, als den Gesang unserer glücklichen Familie die nun das Lied anstimmte: „O du ölige, o du mehlige, bratenbringende Jahresabschlussbilanzzeit.“

 

 

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Quelle: www.unterhaltungsspiele.com

Stefan Neubert, 2001. www.stefan-neubert.de

 
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