Ich kann mich noch an meine eigene Schulzeit erinnern. Schon in der Grundschule war schnell klar, daß wir uns an den "Großen" orientierten. Was in der vierten Klasse oder später im Gymnasium von den Oberstufen-Schülern gemacht wurde, das war der Standard und dem war nachzueifern.
Das hatte gute wie auch schlechte Seiten. Einige besonders schlaue "Große" hatten erkannt, daß Sie erheblichen Einfluss auf uns ausüben konnten und machten von Ihrer Rolle als "Vorbilder" zu ihrem eigenen Nutzen Gebrauch. So erzählte uns zum Beispiel einmal ein als besonders "cool" bekannter Viertklässler, daß es jetzt "in" sei, den Verpackungsabfall von Klebebildtütchen zu sammeln.
Er selbst hatte natürlich eine gewisse Anzahl dieser raren Umverpackungen bei sich und war großzügig bereit, diese gegen die unwichtigen Metallscheibchen, die unser Taschengeld darstellten, einzutauschen. Wehe aber, wenn ihm ein Gesicht nicht gefiel; dann war er auch mit noch so vielen Münzen nicht dazu zu bewegen, dem Interessenten den Abfall herauszugeben - was uns Andere nur daran bestärkte, daß hier Güter von besonderem Wert zu erhalten seien.
An genau diese Situation erinnern mich die Shows wie Popstars, DSDS und andere Casting Shows. Was damals die "Großen" waren ist nun in Form des "großen Bruders", des Fernsehens institutionalisiert und zieht die Kinder und Jugendliche magisch an. Perfekt inszeniert werden die Elemente der Jugendkultur und das Bedürfnis nach Abgrenzung und Anerkennung benutzt um Kindern und Jugendlichen massenhaft zu beeinflussen.
Wo bisher Jugendkultur ein Ausdruck jugendlicher Dynamik und der originären Schöpfungskraft war - Reich Ranicki sagt zu Recht, daß die großen Werke der Litertur, Musik und Kunst der Jugend entspringen - wird nun zur Maximierung des Ökonomischen eine von Erwachsenen geschaffene artifizielle Jugendkultur als Mittel zum Zweck eingesetzt.
Fatal dabei aber ist, daß die Jugend damit eines Ventils beraubt wird, das es ihr bisher erlaubte - weitgehend gewaltfrei - ein eigenes Lebensgefühl zu entwickeln und auszuleben. Jugendliche Musikgruppen und Künstler haben immer wieder ihrer Generation Stimmen und Bilder zur Identifikation gegeben.
Bei dieser artifiziellen durch Erwachsene geschaffenen "gereinigten" Jugendkultur fehlt genau dieser Aspekt. Es fällt schwer, sich die angehenden "Pop-" oder "Superstars" vorzustellen, wie Sie überzeugend singen: "We don't need no education - we don't need no thought control" - und danach dann von Dieter Bohlen gesagt bekommen: "Du - dieses Feeling ist ääächt komisch - ich glaube, das passt einfach nicht zu deinem Typ - nu?"
Doch eine breite Masse von Jugendlichen kauft diesem "großen Bruder" den Abfall ab. Zu stark ist die Faszination, die Anziehungs- und Überzeugungskraft; zu eindrucksvoll die Scheinwelt des Fernsehens, in der die Gleichaltrigen oder wenig Älteren als Marionetten der Macher in Szene gesetzt werden. Eigentlich ist das genau das Gegenteil. Es ist ein nahezu groteskes Schauspiel, wie sich die angehenden "Rock & Roll Rebellen" vor den Popanzen der Geldfabriken in Demut wälzen -stundenlang auf der langen Bank sitzen um auf ihre drei Minuten der Aburteilung durch geistlose Narren zu warten.
Ich erinnere mich noch genau, wie kurze Zeit nachdem ich die schäbigen Papierfetzen gegen mein Taschengeld eingetauscht hatte das schale Gefühl in mir aufstieg, gründlich verarscht worden zu sein. Genau dieses Gefühl habe ich heute, wenn ich die für Kinder und Jugendliche gedachten Programme auf RTL I + II, VIVA und VIVA +, MTV, Pro 7 etc. ansehe - und dann schäme ich mich für das, was Erwachsene in dieser Gesellschaft unseren Kindern antun. Wir sollten unsere Kinder zu selbständigen Menschen erziehen und sie anhalten, eigene Ideen , Vorstellungen und ihre eigene Welt zu entwickeln, unter den Augen von wohlwollenden Menschen, die das in sie gesetzte Vertrauen auch verdienen!
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