Zum Krankheitsbild unserer Gesellschaft gehört unter anderem, dass in diesem Land die Frage, wie kinderfreundlich wir sind, fast schon reflexhaft unter finanziellen Gesichtspunkten erörtert wird. Deshalb ist es auch nur folgerichtig, dass die sogenannte Familienpolitik immer dann auf die große Bühne der Innenpolitik geschoben wird, wenn in der jährlichen Haushaltsdebatte die Ministerin für Familie und "Gedöns" dran ist - so wie der Kanzler sie gern bezeichnet.
Dabei besteht der größtmöglich anzunehmende politische Irrtum aber gerade darin, zu glauben, die Kinderfreundlichkeit einer Gesellschaft lasse sich in aller erster Linie über die Summe staatlicher Geldleistungen steuern. Wenn dies so wäre müsste Deutschland - bei allen offenen Wünschen - die romanischen und
skandinavischen Länder auf der nach oben offenen Skala der Kinderfreundlichkeit ja längst hinter sich gelassen haben. Das Gegenteil jedoch ist der Fall. Die Ursachen dafür sind vielfältig und ihre Entwicklungslinien reichen über viele Jahrzehnte zurück.
Daß sich in Deutschland immer mehr Paare ganz bewusst gegen Kinder entscheiden, obwohl Untersuchungen ergeben haben, dass angeblich 96 Prozent der Deutschen den Wunsch nach Kindern verspüren und das allgemeine Klima als eher kinderunfreundlich wahrgenommen wird, ist das Ergebnis einer fundamentalen Veränderung und Neubewertung gesellschaftlicher Prioritäten durch jene Generationen, die in einem geschichtlich beispiellosen Wohlstand aufgewachsen sind.
Kinder gelten zunehmend als Störfaktor
Kinder wurden zunehmend als Störfaktor im eigenen Leben registriert - eher hinderlich auf dem Weg zu einem ausschließlich selbstbestimmten Leben. Die "double income no kids"-Gesellschaft mit ihren Attraktionen war fast spielend in der Lage die Geschäftsgrundlagen des Generationenvertrags zu unterspülen. Konsequent dazu gehörte es bald zur schlechten Übung, das traditionelle Familienbild in die Nähe des gesellschaftlich Reaktionären, Rückschrittlichen und vor allem Unaufgeklärten umzuhängen. Man muss nicht einer fragwürdigen Überhöhung der Mutterrolle anhängen, um zu bemerken, dass eine doch wahrnehmbare gesellschaftliche Anerkennung der Leistung von Frauen in den Familien dem subtilen Spott einer tonangebenden Schicht wich, deren Lebensentwurf sich nicht durch die Unbequemlichkeiten mehrer Kinder stören lassen wollte.
Mentalitätswechsel fast vollständig gelungen
Der Mentalitätswechsel ist fast vollständig gelungen und seine Ergebnisse sind jetzt zu besichtigen. Es ist im Übrigen zu vermuten, dass finanzielle Anreize vom Kindergeld bis hin zum neusten Schlager - dem Elterngeld - nicht dazu führen werden, in Deutschland ein kinderfreundliches Klima zu schaffen. Dazu war der Bewusstseinswandel zu gründlich und zu wirkungsvoll. Der Gesetzgeber tat über die Jahre zusätzlich das seine, um diese Talfahrt noch zu beschleunigen. Von der Rentenversicherung bis hin zum Steuerrecht ist alles immer noch so geregelt, dass ökonomische Lebensbilanzen ohne Kinder geradezu prämiert werden.
Stand: 09.09.2004 19:00 Uhr
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