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Kinderfreundlichkeit ist nicht mit Geld zu bezahlen
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Geschrieben von Tobias Heinz   
Saturday, 11 September 2004

Kinder verschwinden aus unserem Alltag 

Anscheinend sind spielende Kinder nichts selbstverständliches mehr. Auf Basis des Lärm-Emmissionsschutzgesetzes entscheiden immer mehr Gerichte nach Klagen von Anwohnern, daß Spielplätze und sogar Schulhöfe wegen überschreiten der gesetzlichen Grenzwerten geschlossen werden müssen. Immer häufiger wird auch von Mobbing bis zu Klagen vor Gericht das vollständige Sammelsurium von Repressalien gegen Eltern in Stellung gebracht. Ihr Vergehen: Sie haben Kinder, die tun, was Kinder nun einmal tun und für eine gesunde Entwicklung auch tun müssen.

lachende Kinder bereichern das LebenVon aus dem Ausland zugezogenen Eltern kann man solche Erzählungen meist mit dem Ausdruck ungläubigen Erstaunens hören; sie schildern z. B., daß "so etwas", wie eine schon vor der Geburt eingereichte, mit 125.000 Euro Strafe versehende, vorauseilende Unterlassungsklage gegen das Abstellen eines Kinderwagens im Hausflur, in Amerika, Italien oder Japan niemals vorgekommen wäre - und mit noch ungläubigerem Staunen berichten sie weiter, daß dieser Klage durch einen deutschen Richter rechtskräftig sogar noch stattgegeben wurde.

Es sind die kleinen, täglichen Vorfälle, die es Eltern und solchen die es werden wollen, heute so schwer machen. Die pikierten Blicke von Kinderlosen in Bus und U-Bahn, wenn ein Kind etwas lauter spricht oder spielt, der scharfe Tonfall eines Verkäufers beim Betreten eines Geschäftes: "der Kleine faßt hier aber nichts an!" oder die beiden Herren im Anzug, die sich in der zur Hauptpendlerzeit vollgepackten S-Bahn laut über die einzige Mutter mit dem Kinderwagen unterhalten: "Warum gewisse Leute, die doch den ganzen Tag Zeit haben, ausgerechnet zur Rush-hour in der S-Bahn fahren müssen" - worauf der den Tränen nahen Mutter nichts weiter bleibt als unhörbar zu murmeln: "... weil man sich die Termine in der Uni-Klinik eben nicht nach belieben aussuchen kann." Jedes Elternpaar könnte ohne Unterbrechung tagelang von solchen Vorfällen berichten.

Ganztagesbetreuung - nur eine "aus den Augen - aus dem Sinn" Aufbewahrung 

Da ist es doch bezeichnend, wenn die Familienministerin, deren Kinder seit langem aus dem Hause sind, vorschlägt, die "Ganztagesbetreuung" auszuweiten. Was stattfindet ist eine Entwöhnung unserer Gesellschaft von Kindern. Sie verschwinden einfach immer mehr aus dem Stadtbild, aus dem täglichen Leben. Wenn man Kinder als Entwöhnter dann trotzdem sporadisch erlebt, dann sind Kinder etwas Störendes, etwas Ungewohntes. Meines Erachtens geht daher die "Ganztagesbetreuung" genau in die falsche Richtung. Kinder wegschließen. Kinder den ganzen Tag in abgeschotteten Einrichtungen unterbringen und von spezialisierten (abgehärteten, gewöhnten) Kräften betreuen lassen. Am besten so, daß die Kinderlosen mit ihnen nicht mehr in Berührung kommen und nicht durch Kinder gestört werden.

Demographie ist kein Naturgesetz 

Gleichzeitig wird uns von allen Seiten von der demographischen Entwicklung erzählt, Als wäre diese demographische Entwicklung, das Verschwinden der Kinder aus unserer Gesellschaft, ein unbeeinflussbares Naturereignis oder eine mathematische Formel! Die Verbindung von Kinderlosigkeit, dem Verschwinden von Kindern aus unserem täglichen Leben und der Entkopplung von Liebe, Sexualität und Kindern führen dazu, daß der unmittelbare Zusammenhang der Stabilität unserer Gesellschaft, der Funktionsfähigkeit unserer Sozial-, Kranken- und Rentenversicherung sowie Wachstum und Beschäftigung in unserer Wirtschaft mit der individuellen Entscheidung zwei oder mehr Kinder zu bekommen, bei den Überlegungen keine Rolle mehr spielen. Dabei ist das "Gegenmittel" zur aktuell absehbaren demographischen Entwicklung doch so einfach: Kinder kriegen. Seit Jahrmillionen bewährt und praktiziert.

Was wir also brauchen ist eine Politik, die unsere Gesellschaft, erwachsene Menschen jeden Alters, wieder an Kinder gewöhnt. Dabei sollten wir uns an das erinnern, was wir z. B. bei der Integration von Behinderten gelernt haben. Es gab und gibt Menschen, die sich durch das Verhalten, ja den bloßen Anblick von Behinderten gestört fühlen. Diesen Menschen wäre es am liebsten, Behinderte in Ganztagesbetreuung aus dem Verkehr zu ziehen. Aus den Augen aus dem Sinn. Doch Behindertenintegration zielt bewußt auf den freien Umgang aller Menschen - Behinderte sollen barrierefrei leben und als normaler Mensch behandelt werden. Auch Behinderte berichten immer wieder, daß sie sich besonders und vor allem durch die pikierten Blicke, das Tuscheln und das Abwenden der Nichtbehinderten am meisten diskriminiert fühlen - sie wollen eben nicht etwas Außergewöhnliches oder Besonderes sein. Integration statt Separation. Leben in der Öffentlichkeit, unter Menschen und im täglichen Leben, statt das Wegschließen in ganztagesbetreuten Anstalten.

Kinder müssen in den Alltag "re-integriert werden" 

Diesen Weg von Öffentlichkeit und freiem Umgang müssen wir auch bei der - fast möchte ich es nicht so drastisch schreiben - "re-Integration" von Kindern in unsere Gesellschaft gehen - und eben nicht auf den Weg in die Ganztagesbetreuung in abgeschotteten Kinderanstalten abdriften. Wir müssen es ermöglichen, daß sich Kinder und Eltern ohne Einschränkungen in allen Bereichen unserer Welt frei und undiskriminiert bewegen können - am besten fast rund um die Uhr. Nur so können wir uns (bzw. unsere Gesellschaft) wieder an Kinder gewöhnen und nur wenn wir Kinder als etwas gewöhnliches betrachten werden Menschen ganz normal, gewöhnlich und einfach Kinder haben.

Dazu brauchen wir eben den persönlichen Einsatz von Eltern, die die Zeit haben, ihre Kinder in die Stadt zu bringen, in der U-Bahn zu fahren, bei Einkaufen mitnehmen, auf öffentliche Spielplätze und in die Höfe und Straßen unserer Städte zu bringen. Und Eltern nehmen sich diese Zeit gerne, wenn sie nicht befürchten müssen, von den kinderlosen Mitbürgern diskriminiert zu werden - als Opfer einer latenten oder praktizierten Kinderfeindlichkeit.

Einfache Grundsätze statt teurer Programme 

Dafür wären einige gesetzliche Grundsätze, die sich z. B. an der Richtlinien zur Gleichstellung der Frau oder der Behinderten oder an Regeln wie denen der amerikanischen "affermative Action" orientieren könnten, eine wesentlich bessere Förderung, als die anonymen Geldleistungen wie Kindergeld oder Steuer- bzw. Abgabenerleichterungen:

Ich könnte mir z. B. die folgenden Regeln vorstellen:

  • Ein Gesetz darf nicht so ausgelegt und angewendet werden, daß die natürliche Entwicklung von Kindern beeinträchtigt wird, z. B. wenn es um "Lärmbelästigung" durch Schreien oder Spielen, Benutzung von öffentlichen Einrichtungen bzw. Nahverkehr oder Haftungsfragen geht.
  • Bei der Besetzung von Stellen oder bei der Beförderung im Unternehmen muß bei vergleichbarer Eignung dem Bewerber mit den meisten Kindern der Vorzug gegeben werden.
  • In der Öffentlichen Einrichtungen, Geschäften und Restaurants etc. muß dafür gesorgt sein, daß Familien mit Kindern bis 12 Jahren ohne Probleme verkehren können.
  • Diskriminierung gegen Eltern wegen ihrer Kindern sollte bei Verkaufs- und Servicepersonal und in Unternehmen und Betrieben ähnliche Konsequenzen haben wie Rassen- oder Behindertendiskriminierung.
  • Beispiel bei Produkten: ein Fahrzeug, das vom Hersteller für 5 Personen zugelassen werden soll, muß für zwei Erwachsene und drei Kinder in entsprechenden Kindersitzen verwendbar sein.
  • Bei der Vergabe einer Mietwohnung muß ein Bewerber mit Kindern allen Bewerbern ohne Kinder vorgezogen werden.
  • In öffentlichen Verkehrsmitteln, Kino, Konzert etc. müssen besonders gute Plätze für Eltern reserviert werden.
  • Diffamierung oder abfällige bzw. negative Bemerkungen in der Öffentlichkeit bzw. Werbung und Medien, die das Elternsein oder Kinder-haben in schlechtem Licht erscheinen lassen, könnten mit einer heftigen Strafe belegt werden.

Aber das sind nur ein paar Ideen, wie man ohne den Einsatz von Milliarden, wie sie jetzt für die ineffektive und schädliche Ganztagesbetreuung ausgegeben werden sollen, mit sehr einfachen Mitteln etwas für Kinder, Familien und besonders für Paare tun kann, die sich für ein Kind entscheiden möchten.

Als letzten Vorschlag möchte ich an dieser Stelle noch einen Vorschlag zur Rentenversicherung anregen: Bei der Berechnung der Rente sollte nicht ein kollektiver demographischer Faktor einbezogen werden, sondern die Rente sollte auf der Basis der eigenen Kinder berechnet werden (z. B. minimale Grundrente + Anzahl der Kinder mal x% vom letzten Netto). Nur so kann die individuelle Entscheidung für oder gegen Kinder auch zu individuellen Auswirkungen bei der Rente führen. Ein kollektiver "demographischer Faktor" verwässert wie bisher die Auswirkungen der Armut an Kindern in Deutschland.

 Lesen Sie dazu auch die folgenden Artikel:

Schiebt ab Kinder (aus Financial Times Deutschland)

Wie Kinderfreundlich ist Deutschland (Kommentar des NDR)

Letzte Aktualisierung ( Tuesday, 05 October 2004 )
 
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