Die Debatte um die Kinderbetreuung wird zu einseitig geführt. Es geht nur um Zahlen, aber nicht um Werte und die Frage, ob Kitas überhaupt zur Erziehung taugen.
Deutschland kinderfeindlich? Ach was, Deutschland tut etwas für seine Kinder. 230.000 neue Krippen- und Kita-Plätze soll es in den nächsten sechs Jahren geben; Milliarden, so hieß es am Donnerstag in der Bundestagsdebatte, werden dafür bereitstehen. Auf dass es genügend Horte und Kindergärten, Tagesmütter und Tagesstätten gebe.
Solche Debatten werden verstärkt seit zwei Jahren geführt. Sie sind wichtig, denn Deutschland ist wahrlich noch kein Land, das genügend für Kinder und ihre Eltern tut. Und dennoch weisen diese Debatten eine gefährliche Schieflage auf. Sie werden ausschließlich unter demografischen Aspekten und mit Blick auf die Eltern geführt. Quantität ist die beherrschende Größe, "mehr" lautet die Kernbotschaft: mehr Geld, mehr Plätze, mehr Geburten. Qualität - und das ist das entscheidende Manko - spielt bei dem Thema keine Rolle. Und vor allem nicht die Frage, ob es überhaupt wünschenswert oder gar sinnvoll ist, Kinder tagsüber in öffentliche Einrichtungen abzuschieben.
Eltern ohne Einfluss
Eltern, die ihre Kinder in die Ganztagsbetreuung geben, entledigen sich damit - bewusst oder unbewusst - ihrer Verantwortung für die Erziehung des Nachwuchses. Nach welchen Maßstäben Sohn oder Tochter erzogen werden, entzieht sich tagsüber ihrem Einfluss. Im Fall von Kleinkindern unter drei Jahren ist sogar davon auszugehen, dass die Eindrücke aus der Ganztagsbetreuung maßgeblichen Einfluss auf die frühkindliche Prägung haben. Läuft sie schief, ist der "Schaden" nur unter Mühen reparabel.
Nach welchen Wertmaßstäben sollen Kinder erzogen werden? Eine allgemein gültige Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Für manche Eltern ist es schon ein Wert an sich, dass beim Essen die Ellbogen nicht auf dem Tisch liegen. Für andere ist es wichtig, dass ihr Kind nach der Devise "Was du nicht willst, das man dir tu’, das füg auch keinem anderen zu" erzogen wird, was ausschließt zu lügen, zu klauen oder andere Menschen physisch und psychisch zu verletzen. Ein Atheist wird nicht wollen, dass sein Kind nach den Werten eines katholischen Kindergartens erzogen wird. Und überzeugte Katholiken dürften die Wertevermittlung eines dezidiert weltlichen Kindergartens als unzureichend empfinden.
Die Definition der Werte ist sehr unterschiedlich. Fest steht aber, dass Eltern Vorstellungen haben, in welchem Geist ihre Kinder aufwachsen sollen. Kindergärten, -horte und -tagesstätten können diesen Erwartungen jedoch nicht gerecht werden. Sei es wegen anderer Wertmaßstäbe der Betreuer, sei es wegen des Umstandes, dass gerade in kommunalen Kindergärten die Kinderbetreuung zunehmend zur Kinderbeschäftigung degeneriert. Wo Jungen und Mädchen mit dem Spielzeug alleine gelassen werden, ist nicht zu erwarten, dass sie Werte kennen lernen. Im Extremfall bemerken Eltern dieses Defizit erst nach Jahren, wenn sie feststellen, dass ihr Kind sich zum Skinhead, Klau-Kid oder Straßenschläger entwickelt hat.
Kindererziehung ist zu wichtig, als dass Eltern sie in fremde Hände legen sollten. Sie müssen sie selbst übernehmen, und das nicht nur nach Feierabend. Das kann jedoch nur ausreichend funktionieren, wenn ein Elternteil - sei es der Vater, sei es die Mutter - zuhause bleibt. Auch auf die Gefahr hin, dass er oder sie von ihrer Umwelt wahlweise als altbacken, weicheiiger Hausmann oder Anhänger der Frau-an-den-Herd-Theorie diffamiert wird.
Ausgerechnet Bundesfamilienministerin Renate Schmidt, die in ihrer Amtszeit erschreckend unauffällig geblieben ist, hat einen Vorschlag unterbreitet, der es Eltern erleichtern soll, sich eine Zeit lang aus dem Job zu verabschieden und vornehmlich der Kindererziehung zu widmen. Bis zu 14 Monate lang will sie eine vom Bruttoeinkommen abhängige Lohnersatzleistung zahlen, der Einkommensverlust für erziehende Eltern hielte sich in Grenzen.
Vorbild Schweden
Die CDU-Familienpolitikerin Maria Böhmer hat das aus Schweden stammende Modell zwar abgelehnt, weil dadurch die Geburtenrate in dem skandinavischen Staat nicht gestiegen sei. Doch dieser Einwand zeigt lediglich, dass die vorgeblich so sehr auf Werte setzende Union in Sachen Kinderbetreuung auch nur mit dem Kriterium Quantität argumentiert.
Das Elterngeld würde es daheim bleibenden Vätern und Müttern finanziell ermöglichen, die Erziehung ihrer Kinder sehr variabel zu gestalten. Sie könnten den Staatszuschuss nutzen, um den Verdienstausfall auszugleichen. Oder aber, um stundenweise Babysitter anzuheuern, damit sie beispielsweise Zeit haben für berufliche Weiterbildungskurse. Verluste an Job-Know-how durch die Erziehungszeit ließen sich dadurch weitgehend verhindern.
Das Schmidt-Modell ist teuer, die Ministerin hat es deshalb bisher auch nicht gewagt, eine Finanzierung dafür vorzulegen. Aber der Preis ist nicht zu hoch, wenn dadurch Kinder mit einer Werte vermittelnden Erziehung aufwachsen können. Und nicht nur in öffentliche Verwahranstalten abgeschoben werden.
© 2004 Financial Times Deutschland
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