Das
geht aus dem halbjährlichen "World Economic Outlook" (WEO) des IWF
hervor, der Mitte April in Washington veröffentlicht werden soll und
der FTD bereits vorliegt. Auch Deutschland wird darin kritisiert: Zwar
gingen die jüngsten Rentenreformen ebenso in die richtige Richtung wie
die Agenda 2010 von Kanzler Gerhard Schröder. Sie seien aber nicht
weitgehend genug.
Das steigende Durchschnittsalter
der Menschen in den Industrie- und Schwellenländern wird die
Sozialversicherungskosten in den kommenden Jahrzehnten erheblich
erhöhen. Experten rechnen mit einer Belastung der öffentlichen
Haushalte von vier bis fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) pro
Land und Jahr. Im Falle Deutschlands wären dies unter gegenwärtigen
Bedingungen rund 9 Mrd. bis 11 Mrd. Euro.
"Trotz vereinzelter Fortschritte
- etwa in der Euro-Zone und in Japan - sind die weitaus meisten
Industrie- und Schwellenländer schlecht auf den Druck vorbereitet, der
durch die Alterung der Gesellschaft entsteht", heißt es im WEO. Das
gelte vor allem für die Gesundheitssysteme, die von der
Demografieentwicklung ebenso betroffen seien wie die Rentenkassen. Das
Problem werde bereits in wenigen Jahren spürbar.
Desolater Zustand
Sorgen bereitet den
IWF-Volkswirten vor diesem Hintergrund vor allem, dass viele
öffentliche Haushalte schon heute in einem desolaten Zustand sind: "In
den größten Industrieländern - mit Ausnahme Kanadas - sind die
Finanzierungsdefizite unverändert hoch", heißt es in dem 150-seitigen
Bericht. Verschlimmert werde die Situation noch dadurch, dass "die
vorgesehenen Verbesserungen durch die Bank unambitioniert sind und in
einigen Fällen auch nicht durch glaubwürdige Maßnahmen untermauert
werden".
Laut IWF hat sich das
Finanzierungsdefizit in der Euro-Zone im vergangenen Jahr auf
durchschnittlich minus drei Prozent des BIP erhöht. Um
Konjunktureinflüsse bereinigt verharrte der Fehlbetrag bei 2,1 Prozent.
Noch problematischer aber seien die hohen Schuldenstände in den
EU-Ländern, kritisieren die IWF-Ökonomen. "In Zeiten robusten Wachstums
sind die Haushalte völlig unzureichend konsolidiert worden. Jetzt sind
die Budgets sich verschlechternden wirtschaftlichen Bedingungen
ungeschützt ausgesetzt."
Wie schon in den
Weltwirtschaftsberichten der vergangenen Jahre fordern die
Fondsexperten die Regierungen Europas erneut zu einschneidenden
Strukturreformen auf, insbesondere auf dem Arbeitsmarkt. Nur so werde
es gelingen, das Potenzialwachstum zu erhöhen und in der Folge auch die
Haushaltssituation zu verbessern.
Lahme Binnennachfrage
Zugleich räumen die Ökonomen ein,
dass das größte Problem der meisten europäischen Volkswirtschaften
nicht der vermeintlich schlechte Investitionsrahmen für die
Unternehmen, sondern die mangelnde Binnennachfrage sei: "Das starke
Wachstum der Unternehmensgewinne muss erst noch in einen nennenswerten
Anstieg der Investitionsausgaben münden (...). Gleichzeitig haben das
langsame Wachstum von Löhnen und Beschäftigung bei gleichzeitig hoher Abgabenlast sowie das fehlende
Vertrauen den Konsum gedämpft", heißt es in dem Bericht.
Lob findet der WEO für die Agenda
2010 in Deutschland, den eingeleiteten Umbau des Alterssicherungs- und
des Gesundheitswesens in Frankreich und die Rentenreform in Italien.
"All diese Reformen müssen aber weiter vertieft und stärker nach
Wichtigkeit geordnet werden", fordern die Ökonomen. Der Fokus müsse
dabei eindeutig auf Arbeitsmarktreformen, dem Abbau zu generöser
Versorgungssysteme, der Verringerung der Steuerlast und der
Liberalisierung der Gütermärkte liegen.
Angesichts der vielfältigen
Probleme gehen die Volkswirte davon aus, dass das Wachstum in der
Euro-Zone 2005 mit 1,6 Prozent einmal mehr deutlich hinter dem in den
USA (3,7 Prozent) zurückbleiben wird. 2006 dürfte das Plus in Europa
mit 2,2 Prozent etwas höher ausfallen. Wie bereits berichtet, bleibt
die Entwicklung in Deutschland unterdurchschnittlich: Für das laufende
Jahr erwartet der IWF ein Wachstum von 0,8 Prozent, für 2006 von 1,9
Prozent. Sämtliche Prognosen werden bis zur Veröffentlichung des WEO in
knapp sechs Wochen aktualisiert.
© 2005 Financial Times Deutschland