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"40 Jahre Sozialhilfe in Deutschland"
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Geschrieben von Präsident des statistischen Bundesamtes Johann Hahlen   
Friday, 13 May 2005

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Reform der sozialen Sicherungssysteme steht im Zentrum der aktuellen politischen Debatte. Unter anderem geht es um die beabsichtigte Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe mit dem Ziel, hilfebedürftige und erwerbsfähige Arbeitslose wieder in Arbeit zu vermitteln. Die parlamentarischen Beratungen dazu dauern an.

Welche Personengruppen sind derzeit hauptsächlich auf Sozialhilfe angewiesen? Wie hat sich die Empfängerstruktur im Zeitverlauf entwickelt? Wie viele Sozialhilfeempfänger sind erwerbsfähig, wie viele arbeitslos? In welcher Höhe belasten die Sozialhilfeausgaben die öffentlichen Haushalte?

Antworten auf diese Fragen liefern die Ergebnisse der amtlichen Sozialhilfestatistik, die aktuell für das Jahresende 2002 vorliegen, und deren wesentliche Ergebnisse mein Haus bereits mit Pressemitteilung vom 25. September 2003 veröffentlicht hat. Seit dem In-Kraft-Treten des Bundessozialhilfegesetzes im Juni 1962 kann somit ein Zeitraum von 40 Jahren Sozialhilfe in Deutschland statistisch dargestellt werden. Lassen Sie mich deshalb mit einem kurzen Rückblick beginnen.

 

1.    40 Jahre Sozialhilfe in Deutschland

1.1   Die Zahl der Sozialhilfeempfänger ist im Zeitverlauf stark gestiegen

 

Die Zahl der Empfänger von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt außerhalb von Einrichtungen, der so genannten "Sozialhilfe im engeren Sinne" – im Folgenden kurz "Sozialhilfeempfänger" genannt – ist seit In-Kraft-Treten des Bundessozialhilfegesetzes im Juni 1962 deutlich gestiegen: Während der sechziger Jahre gab es im früheren Bundesgebiet bei nur unwesentlichen Veränderungen rund 0,5 Mill. Empfänger. Mit Beginn der siebziger Jahre setzte ein erster spürbarer Anstieg der Empfängerzahl ein, Anfang der achtziger Jahre folgte eine zweite Anstiegsphase: 1982 gab es erstmals mehr als eine Million Empfänger; im Jahr 1991 wurde die Zwei-Millionen-Marke erreicht. Ausschlaggebend hierfür war auch die Einbeziehung der neuen Länder und Berlin-Ost, wodurch sich die Zahl der Sozialhilfeempfänger zusätzlich erhöhte. Der deutliche Rückgang der Bezieherzahl im Jahr 1994 ist auf die Einführung des Asylbewerberleistungsgesetzes zurückzuführen: Zum Jahresende 1994 fielen rund 450 000 Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit aus dem Sozialhilfebezug heraus und wechselten ins Asylbewerberleistungsrecht über. In den darauf folgenden Jahren stieg die Zahl der Sozialhilfebezieher wieder an, erreichte zum Jahresende 1997 den bisherigen Höchststand und verbleibt seitdem auf hohem Niveau.

1.2    Der Anteil der Bevölkerung, der Sozialhilfe beansprucht, hat sich seit 1963 verdreifacht:
         Derzeit beziehen 3,3% der Bevölkerung Sozialhilfe

Zum Jahresende 2002 waren 2,76 Mill. Personen auf Sozialhilfe angewiesen, das sind 3,3% der Bevölkerung. Somit hat sich die Sozialhilfequote, d.h. der Anteil der Sozialhilfeempfänger an der Bevölkerung, seit 1963 mehr als verdreifacht; damals bezog lediglich 1% der Bevölkerung Sozialhilfe.

1.3   Anteil der Ausländer und Kinder mit Sozialhilfebezug deutlich gestiegen

Die Struktur der Sozialhilfeempfänger hat sich im Zeitverlauf deutlich verändert. So ist der Ausländeranteil zwischen 1965 und 2002 von 3% auf 22% gestiegen. Im selben Zeitraum sank der Frauenanteil von 67% auf nunmehr 56%. Erhebliche Veränderungen gab es auch in der altersmäßigen Zusammensetzung der Hilfeempfänger: Zwischen 1965 und 2002 erhöhte sich der Anteil der Kinder unter 18 Jahren von 32% auf 37% bei gleichzeitigem Rückgang des Anteils der ab 65-Jährigen von 28% auf 7%. Das Durchschnittsalter der Sozialhilfebezieher ist im Zeitverlauf also deutlich gesunken.

1.4   Derzeit beziehen in Deutschland 2,76 Mill. Personen Sozialhilfe

Zum Jahresende 2002 bezogen in Deutschland insgesamt 2,76 Mill. Personen in 1,44 Mill. Haushalten Sozialhilfe. Dies entspricht einem Anstieg um 2,2% gegenüber dem Vorjahr. Während in Westdeutschland (ohne Berlin) die Gesamtzahl der Empfänger gegenüber 2001 nur um 2,0% stieg, war in Ostdeutschland (ohne Berlin) im selben Zeitraum ein deutlich stärkerer Anstieg festzustellen (+ 7,0%).

1.5   Jede vierte allein erziehende Frau ist auf Sozialhilfe angewiesen

Unter den Empfängern waren 2,14 Mill. Deutsche und 614 000 Ausländer. Der Ausländeranteil lag somit bei 22%. Mit rund 56% überwogen bei den Sozialhilfeempfängern die weiblichen Bezieher. Unter den Sozialhilfehaushalten gab es 611 000 Haushalte von allein Stehenden, 140 000 von Ehepaaren mit Kindern und 109 000 von Ehepaaren ohne Kinder. Besonders häufig, und zwar mit 340 000 Fällen, waren die allein erziehenden Frauen vertreten. In Deutschland ist mittlerweile jede vierte allein erziehende Frau auf Sozialhilfe angewiesen. Das "Sozialhilferisiko" der allein erziehenden Frauen steigt zudem mit der Zahl der Kinder deutlich an.

Für die einzelnen Bevölkerungsgruppen ergaben sich darüber hinaus folgende Zusammenhänge:

–   Kinder (unter 18-Jährige) gehören mit einer Sozialhilfequote von 6,6% relativ häufiger
     zu den Sozialhilfeempfängern als ältere Menschen (ab 65-Jährige), deren Quote lediglich
     1,3% beträgt. Zum Jahresende 2002 bezogen rund 1,02 Mill. Kinder Sozialhilfe, das sind
     37% aller Hilfebezieher.

–   Frauen beanspruchen mit einer Quote von 3,7% relativ häufiger Sozialhilfe als Männer 
     mit 3,0%.

–   Ausländer haben mit 8,4% eine deutlich höhere Sozialhilfequote als Deutsche mit 2,9%.

 

2.    Sozialhilfe – ein Spiegelbild des Arbeitsmarktes

2.1   Ähnliche Entwicklung der Arbeitslosen- und Sozialhilfequote

Die Sozialhilfequote sowie die Arbeitslosenquote haben sich im Zeitverlauf ähnlich entwickelt, wenngleich auf unterschiedlichem Niveau. So hat sich die Sozialhilfequote seit 1963 mehr als verdreifacht und liegt derzeit bei 3,3% der Bevölkerung. Im selben Zeitraum stieg auch die Arbeitslosenquote stark an, und zwar von 0,8% auf 10,8%.

Der Rückblick zeigt, dass das Bundessozialhilfegesetz in einer Zeit der Vollbeschäftigung und des wirtschaftlichen Aufschwungs in Kraft getreten ist und in den ersten Jahren auf Grund der relativ geringen Inanspruchnahme eher den Charakter einer Hilfe für den Sonderfall hatte. Nicht zuletzt im Zuge der stark gestiegenen Arbeitslosigkeit sind insbesondere seit Beginn der achtziger Jahre immer mehr Menschen in Deutschland auf diese staatliche Unterstützung angewiesen.

2.2   732 000 Sozialhilfeempfänger arbeitslos gemeldet

Ende 2002 waren rund 732 000 Sozialhilfeempfänger, also 44 % aller Hilfebezieher im erwerbsfähigen Alter, arbeitslos gemeldet. Mit 7,3% ist ihre Zahl gegenüber dem Vorjahr relativ stärker angestiegen als die Zahl aller Hilfeempfänger (+ 2,2%). In Westdeutschland erhöhte sich die Zahl der arbeitslos gemeldeten Sozialhilfeempfänger um 8,3%; ein noch deutlicherer Anstieg (+ 14,9%) war in Ostdeutschland zu verzeichnen. Zwar erhielten rund ein Drittel (34% oder 249 000 Personen) der arbeitslos gemeldeten Sozialhilfebezieher Leistungen nach dem Arbeitsförderungsrecht (im Wesentlichen Arbeitslosengeld und -hilfe), doch reichten diese allein zur Sicherung des notwendigen Lebensunterhaltes offenbar nicht aus, so dass ergänzend Sozialhilfe bezogen wurde.

Aus anderen Gründen (wie z. B. wegen häuslicher Bindung, Krankheit, Behinderung oder Arbeitsunfähigkeit, sowie auf Grund von Aus- und Fortbildung) nicht erwerbstätig waren 806 000 Sozialhilfebezieher, das sind 48% aller Hilfebezieher im erwerbsfähigen Alter. Einer Beschäftigung gingen 9% (143 000) der Sozialhilfeempfänger nach; da deren Erwerbseinkommen jedoch unterhalb des soziokulturellen Existenzminimums lag, waren sie auf ergänzende Sozialhilfe angewiesen. Die Mehrzahl der erwerbstätigen Sozialhilfeempfänger war teilzeitbeschäftigt.

2.3   Sozialhilfeempfänger sind zunehmend langzeitarbeitslos

Die zum Jahresende 2002 arbeitslos gemeldeten Sozialhilfeempfänger waren größtenteils 30 bis 39 Jahre alt; es folgt die Altersgruppe der 40- bis 49-Jährigen. Unter den arbeitslos gemeldeten Sozialhilfeempfängern sind viele bereits seit Jahren ohne Beschäftigung. Deren bisherige Dauer der Arbeitslosigkeit betrug zum Jahresende 2002 im Durchschnitt 34 Monate und lag damit um 7 Monate über dem Wert zum Jahresende 1997. Es zeigt sich somit in dieser Personengruppe ein Trend zur Langzeitarbeitslosigkeit. In Deutschland sind knapp ein Drittel aller Arbeitslosen länger als ein Jahr arbeitslos. Dagegen ist dieser Anteil bei den arbeitslos gemeldeten Sozialhilfeempfängern mit über 60% nahezu doppelt so hoch. Innerhalb der Gruppe der arbeitslos gemeldeten Sozialhilfeempfänger ist der Anteil der Personen, die bereits länger als drei Jahre arbeitslos sind, deutlich angestiegen. So waren 1997 noch 21% der arbeitslos gemeldeten Sozialhilfeempfänger bereits länger als drei Jahre arbeitslos, zum Jahresende 2002 schon 31%. Insbesondere die älteren Sozialhilfebezieher sind von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen.

2.4   Das Arbeitskräftepotenzial der Sozialhilfeempfänger wird auf ca. 990 000
       Personen geschätzt

Für eine Entlastung der Sozialhilfeträger spielt die Eingliederung bzw. Wiedereingliederung arbeitsfähiger Sozialhilfeempfänger ins Erwerbsleben eine entscheidende Rolle. Von den 1,68 Mill. männlichen und weiblichen Hilfeempfängern im Alter von 15 bis 64 Jahren – mit Ausnahme der Personen, die wegen häuslicher Bindung, Krankheit, Behinderung oder Arbeitsunfähigkeit keiner Erwerbstätigkeit nachgehen können – standen dem Arbeitsmarkt zum Jahresende 2002 1,25 Mill. Personen als Arbeitskräftepotenzial (brutto) zur Verfügung.

Zieht man hiervon die 143 000 Personen ab, die bereits jetzt als Voll- oder Teilzeitkräfte erwerbstätig sind, sowie die 118 000 – insbesondere jungen Menschen im Alter von 18 bis 24 Jahren – die sich in Aus- oder Fortbildung befinden – dann wären rund 990 000 Arbeitsplätze notwendig, um das unterstellte Arbeitskräftepotenzial (netto) auszuschöpfen. Bei Eingliederung dieser Personen in den Arbeitsmarkt würden wahrscheinlich auch viele ihrer Familienmitglieder keine Sozialhilfe mehr benötigen.

2.5   Arbeitskräftepotenzial in Ostdeutschland sowie bei den Männern relativ hoch

Das geschätzte Arbeitskräftepotenzial (netto) ist in Ostdeutschland relativ höher als in Westdeutschland. Ebenfalls signifikante Unterschiede ergeben sich hierbei zwischen den Geschlechtern: Bei den Frauen fällt das geschätzte Arbeitskräftepotenzial (netto) deutlich geringer aus als bei den männlichen Sozialhilfeempfängern. Dies zeigt u.a., dass die häusliche Bindung als Ursache für den Sozialhilfebezug bei Frauen eine wesentliche Rolle spielt.

2.6   Schulische und berufliche Qualifikation vergleichsweise gering

Entscheidend für eine erfolgreiche und dauerhafte Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt ist nach allen Erfahrungen ein qualifizierter Schul- bzw. Berufsausbildungsabschluss. Rund 13% der 15- bis 64-jährigen Sozialhilfeempfänger haben keinen Schulabschluss. Zusammen mit denen, die über einen Volks- oder Hauptschulabschluss verfügen (45%), ergibt sich ein Anteil von fast 58%, die gar keine oder eine zumindest vergleichsweise geringe schulische Qualifikation nachweisen können. Darüber hinaus verfügen 51% der Sozialhilfeempfänger im erwerbsfähigen Alter über keinen beruflichen Ausbildungsabschluss.

 

3.    Höhe des Sozialhilfeanspruchs und Dauer des Hilfebezugs

3.1   Nettoanspruch pro Haushalt im Schnitt bei 396 Euro monatlich

Im Durchschnitt errechnete sich für einen Sozialhilfehaushalt zum Jahresende 2002 ein monatlicher Bruttobedarf von 842 Euro, wovon allein rund ein Drittel auf die Kaltmiete entfiel. Unter Berücksichtigung des angerechneten Einkommens in Höhe von durchschnittlich 446 Euro wurden pro Haushalt im Schnitt 396 Euro – also etwas weniger als die Hälfte des Bruttobedarfs – monatlich ausgezahlt. Mit zunehmender Haushaltsgröße gelangt tendenziell weniger vom Bruttobedarf zur Nettoauszahlung. Das ist darauf zurückzuführen, dass größere Haushalte häufig über mehr anrechenbares Einkommen verfügen (z.B. Kindergeld, Unterhaltsleistungen).

3.2   Im Durchschnitt endet die Sozialhilfe nach 17 Monaten

Im Verlauf des Jahres 2002 beendeten rund 43% der Sozialhilfehaushalte (gemessen am Jahresendbestand 2001) den Hilfebezug, 48% kamen neu hinzu. Zwar ist es durchaus möglich, dass es sich bei einem Teil der Zu- und Abgänge in diesem Zeitraum um die gleichen Haushalte handelt (Mehrfachbezug innerhalb eines Jahres), auf jeden Fall haben die nachgewiesenen Haushalte aber zumindest temporär die Sozialhilfe verlassen. Insgesamt zeigt sich an diesen Daten, dass eine erhebliche Dynamik im Hilfebezug vorhanden ist.

Für die 606 000 Haushalte, die im Laufe des Jahres 2002 – vorübergehend oder dauerhaft – den Hilfebezug überwunden haben, endete die Sozialhilfe im Durchschnitt nach knapp 17 Monaten. Die Bezugsdauer für die verschiedenen Haushaltstypen schwankt jedoch relativ stark um diesen Durchschnittswert. Die geringste durchschnittliche endgültige Bezugsdauer hatten nichteheliche Lebensgemeinschaften mit Kindern (11,5 Monate). Mit Abstand am längsten bezogen allein stehende Frauen Sozialhilfe (22,8 Monate). Größere Unterschiede gibt es z.B. zwischen Ehepaaren mit Kindern und allein erziehenden Frauen: Während Ehepaare mit Kindern im Schnitt nur 12,2 Monate auf Sozialhilfe angewiesen sind, ist die Bezugsdauer für allein erziehende Frauen mit 17,4 Monaten überdurchschnittlich hoch.

Zwei Drittel der Haushalte, für die im Laufe des Jahres 2002 der Hilfebezug endete, erhielten weniger als ein Jahr Sozialhilfe. 7% der Haushalte bezogen über fünf Jahre Sozialhilfe.

Eine große Rolle bei der Überwindung der Hilfebedürftigkeit spielt die Erlangung eines höheren Einkommens auf Grund Erst- bzw. Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit; dies war bei 37% der Haushalte, die im Jahr 2002 den Hilfebezug überwinden konnten, der Fall. In ebenfalls 37% der Fälle endete die Sozialhilfe, weil andere staatliche Leistungen (z.B. Rente, Kindergeld) gewährt bzw. erhöht wurden.

 

4.    Sozialhilfe im Regionalvergleich

4.1   Sozialhilfequote im Osten erreicht annähernd Westniveau

Ende 2002 lebten rund 2,10 Mill. Sozialhilfeempfänger im früheren Bundesgebiet (ohne Berlin-West), 406 000 in den neuen Ländern und 252 000 in Berlin. Gegenüber dem bisherigen Höchststand der Empfängerzahl auf Bundesebene zum Jahresende 1997 hat sich die Zahl der Hilfeempfänger in Westdeutschland (ohne Berlin) damit um rund 212 000 (– 9%) verringert, während sie in Ostdeutschland (ohne Berlin) um etwa 93 000 Personen (+ 30%) stieg. Die Sozialhilfequote ist in Westdeutschland mit 3,2% jedoch nach wie vor höher als im Osten (3,0%). Allerdings haben sich die Sozialhilfequoten im Westen bzw. Osten in den vergangen Jahren immer mehr angenähert.

4.2   Im Westen ist ansatzweise ein Nord-Süd-Gefälle festzustellen

Im früheren Bundesgebiet ist ansatzweise ein Nord-Süd-Gefälle erkennbar, das heißt, relativ hohe Sozialhilfequoten im Norden und der Mitte Deutschlands, niedrige Quoten im Süden (mit Ausnahme des Saarlandes). Unter den Flächenländern wurde für Schleswig-Holstein mit 4,3% die höchste Sozialhilfequote ermittelt, gefolgt von Niedersachsen und Hessen mit jeweils 3,9%. Die niedrigsten Quoten wurden dagegen in Bayern (1,8%) und Baden-Württemberg (2,1%) festgestellt. Die drei Stadtstaaten verzeichneten die höchsten Sozialhilfequoten: Bremen (8,9%), Berlin (7,4%) und Hamburg (7,0%). In den neuen Ländern wies Thüringen mit 2,2% die niedrigste Sozialhilfequote auf, Sachsen-Anhalt mit 3,6% die höchste.

4.3   Sozialhilfequoten in Großstädten überdurchschnittlich hoch

Bei einer tiefergehenden Regionalisierung zeigt sich ein deutliches Stadt-Land-Gefälle. So errechnet sich für 76 ausgewählte deutsche Großstädte eine durchschnittliche Sozialhilfequote von 5,5%; dieser Wert liegt deutlich über der allgemeinen Quote von 3,3%. Die höchste Empfängerquote hat dabei erstmals Kassel (10,1%), gefolgt von Bremerhaven (10,0%), das zwischen 1997 und 2001 stets die höchste Quote aufwies. Die niedrigste Quote wurde für Erlangen (2,0%) ermittelt.

 

5.    Kommunen tragen Finanzlast für die Hilfe zum Lebensunterhalt

Die Ausgaben für die Hilfe zum Lebensunterhalt, die weitgehend von den Kommunen finanziert werden, haben im Zeitverlauf bis 1998 stetig zugenommen, lediglich 1994 sind sie infolge der Einführung des Asylbewerberleistungsgesetzes zurückgegangen. Zwischen 1999 und 2001 waren die Ausgaben für die Hilfe zum Lebensunterhalt rückläufig, ehe im Jahr 2002 dann für diese Hilfeart wieder ein Ausgabenanstieg zu verzeichnen war. Setzt man die jährlichen Bruttoausgaben für die Hilfe zum Lebensunterhalt in Relation zu den kommunalen Einnahmen im selben Jahr, dann zeigt sich, dass seit 1980 die Ausgaben der Hilfe zum Lebensunterhalt weitaus stärker gestiegen sind als die kommunalen Einnahmen. So verdoppelte sich dieser Anteil zwischen 1980 und 2002 nahezu (von 3,5% auf nunmehr 6,8%). Allerdings ist der Anteil gegenüber den in den Jahren 1997 und 1998 festgestellten Höchstwerten (jeweils 7,3%) leicht zurück gegangen.

Die Kommunen haben im Jahr 2002 für die Hilfe zum Lebensunterhalt netto 8,8 Mrd. Euro ausgegeben (+ 2,8% gegenüber 2001).

 

6.    Sozialhilfe für besondere Lebenslagen – Pflegebedürftigkeit in 
       Deutschland

6.1   Pflegeversicherung bewirkte Rückgang bei den Empfängern von Hilfe zur Pflege

Neben der Sozialhilfe im engeren Sinne gab es 2002 noch 1,56 Mill. Empfänger von Hilfe in besonderen Lebenslagen. Den meisten Empfängern (40% oder 626 000) wurde dabei Hilfe bei Krankheit gewährt. Danach folgte die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen (37% oder 578 000) sowie die Hilfe zur Pflege (20% oder 312 000). Die Zahl der Empfänger von Hilfe in besonderen Lebenslagen hat sich – wie bei der Hilfe zum Lebensunterhalt – im Zeitverlauf ebenfalls deutlich erhöht.

Die Nettoausgaben für die Hilfe in besonderen Lebenslagen beliefen sich im Jahr 2002 auf 13,2 Mrd. Euro, 3,7% mehr als im Vorjahr. Darunter sind insbesondere die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen mit 9,1 Mrd. Euro, die Hilfe zur Pflege mit insgesamt 2,4 Mrd. Euro sowie die Hilfe bei Krankheit mit 1,3 Mrd. Euro von Bedeutung.

Im Folgenden noch einige Daten zur Hilfe zur Pflege im Rahmen der Sozialhilfe, zu den Auswirkungen des Pflegeversicherungsgesetzes sowie zur Pflegebedürftigkeit in Deutschland:

Die Hilfe zur Pflege im Rahmen der Sozialhilfe wird bedürftigen Personen gewährt, die infolge von Krankheit oder Behinderung bei den gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf fremde Hilfe angewiesen sind. Bis zum In-Kraft-Treten des Pflegeversicherungsgesetzes zum 1. Januar 1995 und den daraus resultierenden Leistungen seit April 1995 (häusliche Pflege) bzw. seit Juli 1996 (stationäre Pflege) war die Hilfe zur Pflege im Rahmen der Sozialhilfe das wichtigste Instrument zur materiellen Absicherung bei Pflegebedürftigkeit. Zum Jahresende 2002 erhielten insgesamt 246 000 Pflegebedürftige Hilfe zur Pflege. Das stufenweise Einsetzen der gesetzlichen Pflegeversicherungsleistungen hatte zur Folge, dass die Zahl der Hilfeempfänger (Jahresendbestand) bei der Hilfe zur Pflege von 1994 bis 2002 um 46% zurückgegangen ist; besonders hoch war der Rückgang im Zeitraum 1994 bis 1998 (– 51% bzw. 231 000 Empfänger weniger). Ebenfalls stark zurückgegangen sind die Ausgaben für die Hilfe zur Pflege, und zwar (netto) von 6,6 Mrd. Euro im Jahr 1994 auf 2,4 Mrd. Euro im Jahr 2002 (– 63%).

Angaben zur Zahl und Struktur der Pflegebedürftigen in Deutschland insgesamt liefert die amtliche Pflegestatistik, die zuletzt zum Jahresende 2001 durchgeführt wurde. Im Folgenden möchte ich Ihnen kurz die wesentlichen Ergebnisse dieser Erhebung – die bereits im Juni 2003 veröffentlicht worden sind – vorstellen.

6.2   Über 2 Mill. Pflegebedürftige

Im Dezember 2001 waren insgesamt 2,04 Mill. Menschen in Deutschland pflegebedürftig im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes (SGB XI); die Mehrheit (69%) waren Frauen. 81% der Pflegebedürftigen waren 65 Jahre und älter; 35% waren über 84 Jahre alt. Die Pflegestatistik umfasst dabei die pflegebedürftigen Leistungsempfänger der sozialen Pflegeversicherung und auch die der privaten Pflegeversicherung.

Mit zunehmendem Alter sind Menschen i. d. R. eher pflegebedürftig. Während bei den 70- bis unter 75-Jährigen "nur" jeder Zwanzigste (5%) pflegebedürftig war, beträgt dieser Anteil bei den 85- bis unter 90-Jährigen rund 40%.

6.3   Mehr als zwei Drittel der Pflegebedürftigen wird zu Hause versorgt

Mehr als zwei Drittel (70% bzw. 1,44 Mill.) der Pflegebedürftigen wurden zu Hause versorgt. Davon erhielten 1 Mill. Pflegebedürftige ausschließlich Pflegegeld, das bedeutet, sie wurden in der Regel zu Hause allein durch Angehörige gepflegt. Weitere 435 000 Pflegebedürftige lebten ebenfalls in Privathaushalten. Bei ihnen erfolgte die Pflege jedoch zum Teil oder vollständig durch ambulante Pflegedienste. 604 000 Pflegebedürftige wurden in Pflegeheimen betreut.

6.4   Trend zur "professionellen" Pflege

Die Zahl der Pflegebedürftigen 2001 hat gegenüber 1999 um insgesamt 1,2% bzw. 24 000 zugenommen. Die Daten weisen zudem einen Trend hin zur "professionellen" Pflege in Pflegeheimen und durch ambulante Pflegedienste aus: So ist die Anzahl der durch ambulante Dienste Betreuten um 4,7% (19 000) und die in Heimen Versorgten um 5,4% (31 000) gestiegen, während die "reinen" Pflegegeldempfänger um 2,6% (27 000) abnahmen. Zugleich sank auch der Anteil der zu Hause Versorgten von 71,6% auf 70,4%.

6.5   Vorausberechnung der Zahl der Pflegebedürftigen - Anstieg bis 2020 um mehr
       als ein Drittel

Für die nächsten Jahre ist im Zuge der zunehmenden Alterung der Gesellschaft auch ein Anstieg der Zahl der Pflegebedürftigen zu erwarten. Nach den Ergebnissen einer Vorausberechnung dürfte die Zahl von 2,04 Mill. Pflegebedürftigen im Jahr 2001 auf 2,15 Mill. im Jahr 2005 steigen. Im Jahr 2010 werden schätzungsweise 2,36 Mill. und im Jahr 2020 etwa 2,83 Mill. Pflegebedürftige erwartet. Der Anstieg zwischen den Jahren 2001 und 2020 wird somit auf mehr als ein Drittel (+ 39%) geschätzt. Entsprechend wird der Anteil der Pflegebedürftigen an der Gesamtbevölkerung zunehmen: Dieser beträgt heute 2,5% und wird bis 2020 auf etwa 3,4% steigen.

Die Aussagen beruhen auf einem einfachen Modell: Die Vorausberechnung überträgt dabei den heutigen Status quo der Pflegequoten (getrennt nach Geschlecht und geschichtet nach fünf Jahresaltersgruppen) auf die veränderte Bevölkerungsstruktur in den Jahren 2005, 2010 und 2020. Da von konstanten Pflegequoten ausgegangen wird, bleibt ein möglicher medizinisch-technischer Fortschritt in diesem Bereich unberücksichtigt. Insgesamt ist der Verlauf der maßgeblichen Einflussgrößen (auch der Bevölkerungsstruktur) mit zunehmendem Abstand vom Basiszeitpunkt immer schwerer vorhersehbar, von daher hat insbesondere die langfristige Rechnung bis 2020 Modellcharakter; sie zeigt, wie sich unter den getroffenen Annahmen die Zahl der Pflegebedürftigen entwickeln wird.

 

>>> Unterlagen der Pressekonferenz

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