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Bildung und europäische Identität
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Geschrieben von Josef Heinz   
Sunday, 10 September 2006

Europa cantat – mehrere tausend Sängerinnen und Sänger hatten sich vom 29. Juli bis 6. August 2006 in Mainz versammelt. In Kirchen und Sälen stellten Chöre aus ganz Europa ihre Sangeskunst und ihre Freude am Gesang vor. Wer von europäischer Identität spricht, kommt an der europäischen Musik, an der europäischen Kunst und damit an der europäischen Kreativität nicht vorbei. Aber er kommt auch nicht am europäischen Denken und Forschen vorbei. Das alles gesammelt und gespeichert im “kollektiven kulturellen Gedächtnis” Europas und von Generation zu Generation weiter gegeben durch Erziehung und Bildung. Was im Einzelnen aus dem “kollektiven kulturellen Gedächtnis” an die neue Generation durch Erziehung und Bildung weiter gegeben werden muss, damit die Identität erhalten bleibt, ist nicht leicht zu sagen. Aber wer Identität bewahren und zugleich die Zukunft nicht verlieren will, gleicht wohl “einem Hausvater, der aus seinem Schatz Neues und Altes hervorholt” Mt. 13.52.

Die Begriffe “Bildung” und “europäische Identität” verweisen zunächst auf eine Grundbedingung der menschlichen Existenz hin: Jeder Mensch ist ein Einzel-, aber zugleich ein Sozialwesen.

Bildung 1: “ Mensch, werde, der du bist!” Betrachten wir die Bildung als einen Prozess, in dem der einzelne Mensch gebildet wird und sich selbst bildet, dann gilt der Satz: “ Mensch, werde, der du bist!” Bildung ist in diesem Sinne eine Ent-wicklung, eine Ent-faltung dessen, was der Mensch immer schon ist, was ihm vorgegeben ist, was er vom Schöpfer geschenkt bekommen hat. Heute würde man sagen, was in seinen Genen angelegt ist. Die erste Bildungsaufgabe eines jeden Menschen ist somit, sich selbst anzunehmen, im Sinne von Romano Guardinis immer noch lesenswertem Essay “Die Annahme seiner selbst” (Würzburg 1960). Jeder Mensch muss zunächst seine Begabungen und seine Grenzen erkennen und anerkennen, um der Mensch zu werden, der möglich ist. Kein Mensch beginnt sein Leben als “tabula rasa”, die dann beschrieben wird, oder als leerer Sack, in den dann möglichst viel hinein gefüllt wird. So gesehen ist es die erste Aufgabe aller Erziehungs- und Bildungseinrichtungen von der Familie angefangen bis zur Hochschule, dem jungen Menschen zu helfen, sich selbst anzunehmen, um seine Begabungen zu entdecken und zu auszuformen. Auch sich selbst anzunehmen, ist ein sozialer Prozess. Wenn das Kind nicht erlebt und erfährt, dass andere Menschen Ja zu ihm sagen, dass es angenommen und geliebt ist, wird es ihm schwer fallen, sich selbst anzunehmen.

Bildung 2: “Was du ererbt von deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen.”

Betrachten wir zweitens die Bildung als einen Prozess, in dem Menschen zu einem Leben in einer bestimmten Gesellschaft, hier zur Teilnahme an der europäischen Identität befähigt werden, dann geht es um den Erwerb von Inhalten und Fähigkeiten. Um bei dem Bild von der “leeren Tafel” zu bleiben, ist die Bildung auch ein “Beschreiben” und ein “Auffüllen”. Wenigstens diese Seite der Bildung kann als Teilhabe am ‚Kulturellen Gedächtnis’ einer Gesellschaft beschrieben werden. Der mit der Fähigkeit zu sprechen begabte Mensch z. B. lernt sprechen und zugleich nimmt die Sprache der Eltern als seine Muttersprache in sich auf. Mit der Muttersprache aber nimmt er eine Fülle von “Selbstverständlichkeiten” auf, die das Leben regeln, entlasten und für Mitmenschen berechenbar machen. Wahrscheinlich ist die plausibelste Definition von Identität: Identität ist die Summe der Selbstverständlichkeiten. Deshalb ist auch so schwer abzugrenzen, was zur Identität dazu gehört und was nicht. Sicher gehören die “großen Geschichten” Europas dazu. Aleida Assmann unterscheidet in ihrem Vortrag “Das kulturelle Gedächtnis an der Milleniumsschwelle” UVK 2004 “ zwei Dimensionen des kulturellen Gedächtnisses: ein ´Speichergedächtnis´ und ein ´Funktionsgedächtnis´. Während das Speichergedächtnis aufhebt, wählt das Funktionsgedächtnis aus. Durch Erziehung und Bildung mit ihren Kanonisierungen eignen sich die nachwachsenden Generationen an, was ihnen wert- und bedeutungsvoll zu sein scheint. Dabei wirkt die Frage: Was ist zu unserem gemeinsamen und zu meinem persönlichen Leben von Bedeutung? wie ein Filter.

Bildung ist wesentlich ein soziales Geschehen. Umgekehrt kann man auch sagen, dass alles, was zum sozialen Leben befähigt, zur Bildung gehört: Das Geben und Nehmen, Konflikte Austragen, Kämpfen und Versöhnen usw., und es gehört zur Bildung, alle diese sozialen Phänomene in einer in der Kultur akzeptierten Form zu tun. In der europäischen Kultur etwa wird in diesem Zusammenhang die Fairness beachtet, während in anderen Kulturen eher die Schlauheit bewundert wird.

Ob es, wenn man von europäischer Identität spricht, vor allem um die sog. Bildungsgüter geht, ist fraglich. 1903 formulierte Paulsen: „Wenn ich mein Sprachgefühl ganz gewissenhaft erforsche, so finde ich dieses: gebildet ist, wer nicht mit der Hand arbeitet, sich richtig anzuziehen und zu benehmen weiß, und von allen Dingen, von denen in der Gesellschaft die Rede ist, mitreden kann. Ein Zeichen von Bildung ist auch der Gebrauch von Fremdwörtern, das heißt der richtige: wer in der Bedeutung oder der Aussprache fehlgreift, der erweckt gegen seine Bildung ein ungünstiges Vorurteil. Dagegen ist die Bildung so gut wie bewiesen, wenn er fremde Sprachen kann ....“vgl. Wikepedia, Bildung. Wer also mit der Hand arbeitet, der Handwerker und Arbeiter, gehört nicht zu den Gebildeten. Der Gebildete beschäftigt sich mit geistigen Dingen, mit Reden, Schreiben und Denken, mit Rechnen, besser mit Mathematik. Ob Paulsen Mozart und Rembrandt zu den Gebildeten gezählt hat, ist wohl zu bezweifeln, auch ob Paulsens Sprachgefühl noch in die demokratischen und eher egalitären Gesellschaften Europas passt, ist unwahrscheinlich.

Paulsen hat wohl Recht, wenn er feststellt, dass der Gebildete von allen Dingen, von denen in der Gesellschaft die Rede ist, mitreden kann. Aber das Mitreden z. B. über die Fragen der Genforschung dürfte auch Paulsens Gebildeten nur begrenzt möglich sein. Über viele Jahrhunderte hatte sich der europäische Bildungskanon aus den sieben freien Künsten gebildet. Ein Kanon von Kenntnissen, verbunden mit der lingua franca Latein, verschaffte den europäischen Menschen lange Zeit eine große Freizügigkeit und den Austausch des Wissens. Während die “fahrenden Scholaren von Universitätsstadt zu Universitätsstadt zogen, oft angezogen von berühmten Lehrern der Zeit, sammelte der Handwerker als “fahrender Geselle” Erfahrungen bei fremden Meistern, um selbst Meister zu werden. Ob das Surfen im Internet die Bedeutung des Fahrens der Scholaren und Gesellen erreicht, ist zumindest bei den Gesellen zu bezweifeln.

Mit der Reformation kam der Gedanke, den (all)gemeinen Schichten Zugang zur “Bildung” zu verschaffen, in den Blick. Jeder Christenmensch sollte die Hl. Schrift lesen können und möglichst auch schreiben lernen. Als Erster formulierte Comenius den Begriff der Allgemeinbildung mit der Vorstellung, “allen alles zu lehren”.

Die Aufklärung, vor allem Kant, prägte die Vorstellung vom Menschen, der der Vernunft teilhaftig ist und den es gelte, aus der “selbstverschuldeten Unmündigkeit” herauszuführen. Emanzipatorische und demokratische Forderungen, aber auch die Notwendigkeiten der Industrie verlangten, dass immer mehr Menschen an Bildung teilhaben.

Der Weg zur “allgemeinbildenden Schule” und zur Schulpflicht war damit geboren. Was die allgemeinbildenden Schulen lehren sollen, ist wenigstens zum Teil zeitbedingt. Auf der einen Seite kann man an den Schulfächern und den Lehrplänen immer noch die historische Entwicklung nachvollziehen, auf der anderen Seite aber kommen immer wieder neue Inhalte und Fächer hinzu, gewinnen an Bedeutung, während andere an Bedeutung verlieren. Zwar kann man auch heute Klafkis Vorstellung von Allgemeinbildung annehmen, dass sie nämlich nicht nur Wissen, sondern auch pragmatische und ethische Handlungs- und Beurteilungsfähigkeit beinhalte, aber in einer Gesellschaft, die sich immer mehr zur Informations- und Wissensgesellschaft und das in globaler Form entwickelt, wird der “Gebildete” sich auch dadurch auszeichnen, dass er sich Wissen global aneignen kann und dass er auf Grund von Sprachkenntnissen diese interkulturell nutzen kann.

Es bleibt richtig, dass nicht jede Generation, erst recht nicht jeder Einzelne das Rad neu erfinden muss. Dennoch bleibt auch die Frage, welche Inhalte zur Bildung dazu gehören. “Was einer Gemeinschaft wichtig ist für ihr Selbstverständnis und ihre Identität, vermittelt sie durch Texte, Bilder, Riten und Denkmäler. Seit den 1980er Jahren prägten Aleida und Jan Assmann dafür den Begriff ‚Kulturelles Gedächtnis’ ”. Gerade in von verschiedenen Kulturen zusammen gewürfelten Gesellschaften, wie sie in Europa die Regel sind, bekommt der Begriff ‚Kulturelles Gedächtnis’ein neues Gewicht. Was müssen Bildungseinrichtungen leisten, um am ‚Kulturellen Gedächtnis’ z. B. Europas teilnehmen zu lassen und Identität zu wahren? Wieviel Teilhabe am ‚kulturellen Gedächtnis’ ist notwendig, damit eine Gesellschaft zusammenhält? Reicht es, sich in Google die notwendigen Informationen dowloaden zu können? In welchem Sinne gilt noch Goethes Satz in Faust I: “Was du ererbt von deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen.” Ob das, was aus dem “kulturellen Gedächtnis”, aus Büchern oder dem Internet angeeignet wurde, auch Besitz geworden ist, bestimmt den Grad der Integration in die Gesellschaft, in der man lebt. Angesichts des enormen und rasanten Wissenszuwachses stellt sich immer neu die Frage, welche Bildungsinhalte sind so exemplarisch, dass die junge Generation sie wissen sollte.

Heute ist für Europa Bildung und Ausbildung zu einem Schlüssel für das Überleben in einer globalisierten Welt geworden. Dabei spielt für europäische Gesellschaften die Fähigkeit zur Innovation eine entscheidende Rolle. Hier kommt eine besondere menschliche Eigenschaft ins Spiel, die Kreativität; sie ist die Voraussetzung innovativ zu sein, während sich immer mehr Menschen das allgemein zur Verfügung stehende Wissen mit Hilfe der neuen Medien aneignen. Das biblische Menschenbild vom Ebenbild Gottes - hier ganz besonders die Eigenschaft Gottes als creator, Schöpfer, bekommt damit eine hohe Aktualität, so dass gerade die Kreativität als Bildungsziel in den Blick genommen werden muss. Gerade hier zeigt sich die europäische Identität:

Sie hat immer wieder Menschen in die Freiheit – der Kinder Gottes, eines Christenmenschen, eines mündigen und emanzipierten Bürgers – geführt durch Forschen und neues Wissen und durch Grenzüberschreitungen, die spielerisch in Musik, den Künsten und anderen kulturellen Bemühungen erprobt wurden, die aber auch in einem großen Forscherdrang ihren Ausdruck fanden. Bei allen Brüchen mit der Vergangenheit – ein Bruch mit dieser Tradtion wäre für Europa tödlich.

 
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