Als Patienten oder Angehörige begegnen einige Araber und Türken den Sanitätern mit Hass
Originalartikel hier: http://www.op-online.de/regionalnews/offenbach/71_263_31363534393732.htm
Offenbach
Für Sabine Pérez Preiß waren die Berichte über die attackierten Retter
und Helfer von Ludwigshafen wie eine Befreiung. Endlich sprach jemand,
aus, worunter sie selbst und einige ihrer Offenbacher Kollegen seit
Jahren leiden. Um die Konflikte nicht zusätzlich zu schüren und aus
Angst, sonst als ausländerfeindlich dazustehen, hat die 35-jährige
Rettungssanitäterin die Wut über Beleidigungen, Bedrohungen und
tätliche Angriffe bislang heruntergeschluckt. Nun sind die Schlagzeilen
aus Ludwigshafen das Signal, selbst das Schweigen zu brechen. "Ich bin
froh, dass darüber endlich öffentlich gesprochen wird." Denn im Moment
ist das Berufsleben für die mit einem Spanier verheiratete Mutter von
vier Kindern schlicht unerträglich.
Von Alexander K o f f k a
Offenbach
-Ob diesmal einer der Kerle draußen mit einem Messer auf mich wartet?
Ob sie ihre Drohungen wahr machen? Solche Fragen schießen Sabine Pérez
Preiß durch den Kopf, bevor sie sich abends nach Dienstschluss von der
Rettungsleitstelle in der Rhönstraße auf den Heimweg macht. Die wüsten
Beschimpfungen und Racheschwüre, die während der Einsätze mit dem
Rettungswagen in Offenbach auf die Lebensretterin einprasseln,
verfehlen ihre Wirkung nicht. Sie hat regelmäßig Angst, nicht gesund
von der Arbeit nach Hause zu Mann und Kindern zu kommen.
Von der Angst, nicht heil vom Dienst nach Hause zu kommen
"So
kann das nicht weitergehen", sagt die 35-Jährige über den Alltag in
einem Beruf, den sie mit Freude und Leidenschaft ausübt. Doch
regelmäßig, wenn sie zu Hilfseinsätzen in arabische und türkische
Familien gerufen wird, fährt die Angst mit. Wenn der Einsatzort in
einem der Viertel liegt, wo Armut und Verwahrlosung zu Hause sind,
schlägt den Helfern immer häufiger offene Ablehnung entgegen.
"Wenn
wir ankommen, haben sich manchmal schon 20 Angehörige und Nachbarn des
Patienten zusammen gefunden, die uns bedrängen und beschimpfen",
erzählt die Rettungsassistentin. "Die rotten sich zusammen, als wollten
sie sich gegen uns verbünden." Mit dem vielstimmig vorgetragenen
Vorwurf, es sei seit dem Notruf viel zu viel Zeit bis zur Ankunft des
Rettungswagens vergangen, beginnt ein üblicher Einsatz in der östlichen
Innenstadt oder im Hochhaus Neusalzer Straße 77.
Doch das sei nur
der Anfang, ergänzt Rettungssanitäter Artur Przewloka. Im Gegensatz zu
seiner temperamentvollen Kollegin wirkt der gebürtige Pole gleichmütig
und gelassen. Doch was er in Offenbach erlebt, lässt auch ihn nicht
kalt. Wenn er dem Patienten Fragen stellt, um herauszufinden, was genau
ihm fehlt, werde er von hinten angemacht: "Du sollst helfen, nicht
fragen."
Seit er vor elf Jahren als Zivildienstleister die ersten
Erfahrungen im Rettungsdienst sammelte, hat der 32-Jährige viele
solcher Begegnungen erlebt. "Weißt du eigentlich, was du für einen Job
machst?", pflegen gewisse Angehörige ihn aggressiv anzufahren, wenn er
sich erlaubt, anderer Meinung zu sein als sie. Als Meister der
höflichen Untertreibung spricht Artur Przewloka von einem "nicht
angemessenen Ton", der ihm und seinen Kollegen gegenüber angeschlagen
werde.
Tatsächlich sind es unverblümter Hass und Aggressionen,
denen die Helfer ausgesetzt sind. Vor allem, wenn sie sich erdreisten,
nicht die Diagnosen und Therapievorschläge der Angehörigen zu
übernehmen. Stellen die Sanitäter zum Beispiel bei einem jungen
Patienten eine Durchfallerkrankung oder Erkältung fest und fahren ihn
nicht zur Klinik, sondern empfehlen Erholung in den eigenen vier
Wänden, ist kaum mit dem Einverständnis der aufgebrachten Onkel und
Nachbarn zu rechnen. "Ich mach’ dich Krankenhaus!" So lautet eine der
üblichen Ankündigungen, wenn die vorgeschlagene Therapie mal wieder
nicht auf Wohlwollen stößt. "Ich weiß, wo du arbeitest. Wir warten auf
dich." So verabschiedet man sich in diesen Kreisen von den Helfern. Um
den Drohungen Nachdruck zu verleihen, lässt man gerne die Schusswaffen
aufblitzen, die in Schubladen liegen. "Ob das scharfe oder
Schreckschusswaffen sind, kann ich nicht erkennen", sagt Artur
Przewloka. Aber sie verfehlen ihre Wirkung nicht. Vor einigen Jahren
habe eine empörte Meute in der Hermann-Steinhäuser-Straße nach einem
Rettungseinsatz sogar den Wagen demoliert, das Funkgerät herausgerissen
und einen Sanitäter verletzt.
Sie sei schon häufiger bespuckt,
als "Nazihure" oder "Hitlerbraut" beschimpft und auch tätlich
angegriffen worden, berichtet Sabine Pérez Preiß. Gerade läuft ein
Ermittlungsverfahren wegen sexueller Nötigung gegen einen Türken, den
sie vor einigen Monaten medizinisch versorgte. Er habe ihr mehrfach
zwischen die Beine und an die Brust gegriffen. Das ganze spielte sich
vor den Augen einer Zivilstreife ab, die den Patienten schließlich mit Handschellen abführte.
Oft schützen Polizisten den Einsatz der bedrohten Sanitäter
Eine
Erklärung, warum es immer nur Offenbacher aus bestimmten Kulturkreisen
sind, die sich derart daneben benehmen, haben Sabine Pérez Preiß und
Artur Przewloka nicht. Die mit einem Spanier verheirate Deutsche mit
internationalem Bekanntenkreis und der eingebürgerte Pole sind über den
Verdacht der Ausländerfeindlichkeit erhaben. "Wenn einer Hilfe braucht,
interessieren mich politische Ansichten, Religion, Herkunft oder
sozialer Status überhaupt nicht", versichert Pérez Preiß. Aber sie will
ihre Arbeit als Rettungsassistentin machen können, ohne beleidigt oder
bedroht zu werden. Sie wünscht sich, dass endlich konsequent gegen die
Übergriffe auf Hilfskräfte vorgegangen wird. Bislang sei das Thema
tabuisiert worden.
Dabei ist das in den Subkulturen verbreitete
Gewalt- und Aggressionspotenzial bekannt. Voller Dankbarkeit erzählt
sie, dass bei Notrufen aus bestimmten Quartieren die Kollegen in der
Einsatzzentrale routinemäßig gleich auch die Polizei verständigen. Mit
den Rettungswagen zusammen rücken dann die Uniformierten an, um die
Sanitäter zu schützen.
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