„Demokratie heißt, die Wahl haben. Diktatur heißt, vor die Wahl gestellt sein.“ formulierte die Schweizer Aphoristikerin Jannine Luczak einmal. Dieser Spruch in seiner scheinbaren Leichtigkeit kommt in den Sinn, wenn man an den Vertrag von Lissabon denkt – und nicht nur, weil das Europäische Parlament bei der Wahl des Komissionspräsidenten keine Wahl unter mehreren Kandidaten hat, sondern wie die DDR Volkskammer nur den Vorschlag der Kommission bestätigen darf. Die Iren haben den Vertragstext genau verstanden – und das obwohl der Rat der Europäischen Kommission es bis zum allerletzten Termin hinausgezögert hatte, den Lissabon Vertrag überhaupt in Gänze zu veröffentlichen – in englisch wurde der vollständige Text überhaupt erst am 16. April 2008 veröffentlicht. Nein – eine amorphe Europaskepsis oder gar Europafeindlichkeit ist bei den Iren nicht zu spüren. Dafür haben sie zu massiv von der EU profitiert. Es gab noch nicht einmal einen Denkzettel-Effekt für die irische Regierung wie bei den Abstimmungen in 2005. Aber es gab mehrere Bürgerbewegungen, die sich die Mühe gemacht hatten, den Vertrag genau zu lesen und die Auswirkungen auf Demokratie und Freiheit genau zu analysieren. Denn darin liegt der eigentliche Grund für das „Nein“: die Bürger wurden von einer privat finanzierten Bürgerbewegung aufgeklärt, worüber sie eigentlich abstimmten, man hat ihnen richtig erklärt, dass Lissabon das Ende der Gewaltenteilung bedeutet, Möglichkeiten für Regierungen schafft, ihre nationalen Parlamente auszuhebeln, Grundrechte auf einer minimalen Basis normiert, die hinter die Standards fast aller EU Staaten zurückfällt und darüber hinaus dem demokratisch nicht legitimierten Rat und der Komission das Recht gibt, den Vertrag selbst und damit die Verfassung der EU nach Gusto ohne weitere Befragung des Parlamentes oder der Bürger selbst zu ändern. Dass unsere Regierungen aus diesem Desaster noch einmal ein passendes Schlupfloch konstruieren, um gegen das gescheiterte Verfahren nationaler Entscheidungsfindungen doch noch zur gewünschten Verabschiedung des Lissabon-Vertrags zu kommen, das ist hoffentlich außer Frage. Die Iren haben klar gemacht, dass sowohl Euro-Bürokraten als auch die europäischen Machtpolitiker das Volk auf der Rechnung haben müssen. Die alten Betonköpfe eines politischen Europa, das in endlosen Kompromissen auch noch die letzten Konzerninteressen bedient und die abgehalftertsten nationalen Politiker noch mit Posten und Pöstchen versorgt, sollte endlich zu Grabe getragen werden. Jetzt muß die die Chance genutzt werden, aus der Verabschiedungsrunde auszusteigen und den Vertrag ein für alle Male kalt sterben zu lassen. Irland hat für Europa und die europäische Idee gestimmt – für ein freiheitliches und demokratisches Europa. Alles andere, Irland jetzt aus der EU auszuschließen, zur Strafe für nicht obrigkeitsgenehmes Verhalten oder Irland ein zweites Mal abstimmen zu lassen, würde offensichtlich machen, dass die Eurokraten demokratische Entscheidungen biegen, bis es genehm ist, dann „suche man sich doch lieber gleich ein anderes Volk „(B. Brecht 1953 über die DDR-Regierung).
Europa ist kompliziert und es gibt keine Regierung und keine großen Parteien die die neue Aufgabe angemessen schultert, für ein vereintes, freiheitliches und demokratisches Europa, für die Errungenschaften der europäischen Aufklärung und der französischen Revolution, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, einzutreten und zu werben – und nicht für die eigenen naheliegenden Ziele. Kommissionspräsident Barroso hat jede Schuld sofort von sich gewiesen, es sei ja eine nationale Abstimmung. Wohl wahr, aber es gab und gäbe viele Möglichkeiten, Europa mit den Mitteln der Kommission demokratischer zu gestalten und nicht nur negative Beispiele zu liefern, wie beispielsweise bei der Übermittlung der Fluggastdaten, die vom EU Gericht für illegal befunden wurde oder der Vorratsdatenspeicherung, die die Kommission gegen den Willen der nationalen Parlamente durchgedrückt hat und gegen die Irland im Augenblick vor den EU Gerichten klagt. Es sind diese bedrückenden, gravierenden Meilensteine an europäischem Demokratiedefizit, die Europa bei den Bürgern schlecht aussehen lassen. Wo waren die befreundeten Regierungen mit ihren Apparaten als Irland gegen die wahrscheinlich illegale Kommissionsrichtlinie klagte? Alle sprechen englisch, alle hätten viele viele Podien mit positiven Impulsen bestreiten können, um klar zu machen, dass nicht mit dem Entzug von Geldern gedroht wird, um den Iren zu drohen und nicht mit den Milliardenhilfen der Vergangenheit gewunken wird, um die irischen Stimmen zu kaufen. Wo waren die proeuropäischen Parteien als die strukturellen Demokratiedefizite zuerst in die EU-Verfassung und dann in den Lissabon Vertrag geschrieben wurden? Unsere jedenfalls sanieren bei jeder Europawahl ihre Finanzen, indem sie für die Europawahlen unterfinanzieren. Sie schaffen es nach 50 Jahren europäischer Verträge noch nicht einmal, gemeinsame Kandidaten für europäische Positionen aufzustellen oder die einfachsten Inhalte des Lissabon Verträge zu kennen. Wo waren die Abgeordneten des europäischen Parlamentes? Sie hätten am ehesten darauf hinweisen können, daß der Lissabon-Vertrag in Punkto Rechte des Parlamentes nicht einmal mit den Rechten des deutschen Reichstages in den Zeiten Kaisers Wilhelms II. gleichzieht. Es war schließlich die europäische Bewegung an den Unis, im Internet, auf den Plätzen, die die Wahrnehmung der Bürger dafür schärfte, dass der Vertrag von Lissabon ein Anschlag auf die Fundamente der Einheit Europas ist. Es sind die Bürger der vielen befreundeten Länder, der Partnerschaften, der Kirchen, der Sportvereine, die alle ein Interesse haben müssten, dass Europa endlich zusammenwächst: Sie haben mit Petitionen, Briefen und e-Mails die Iren auf Ihre Verantwortung für alle die Bürger Europas hingewiesen, denen die Möglichkeit verweigert wird, über ihre zukünftige Verfassung abzustimmen.
Nach den Fehlentwicklungen der letzten Jahre hat Europa nichts mehr zu verlieren außer seinen Fesseln. Das Europa der Bürokratie und der Bürokraten ist nicht die einzige Option, denn die Freiheit wurde in Europa geboren und ein vereinigtes Europa muß ein freies und demokratisches Europa sein. Es gibt eine Alternative zu den immer neuen Kompromissen und nationalen Abstimmungen: Macht eine wirkliche Verfassung, werbt für sie mit allem, was wir haben, stellt sie europaweit und gleich zur Abstimmung, an einem Tag - und die Europäer werden Euch folgen, mit überwältigender Mehrheit! |