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Markt Indersdorf - die toten Kinder des indersdorfer Lagers |
Geschrieben von Tobias Heinz
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Thursday, 06 December 2012 |
Im Kriegsjahr 1943 wurde der Arbeitskräftemangel immer augenscheinlicher, die Männer an den verschiedenen Fronten oder in den Lagern, die Frauen arbeitsverpflichtet konnten diesen Mangel nicht kompensieren. Die Rüstungsindustrie lief auf Hochtouren, auch die Nahrungsherstellung wurde immer komplizierter. Aus den von Deutschen besetzten Ländern wurden zwischen acht bis zehn Millionen Zwangsarbeiter ins ‚Deutsche Reich’ deportiert, vor allen Dingen aus Polen, der damaligen UDSSR und Frankreich. In ländlichen Bereichen wurden die ZwangsarbeiterInnen, denn ein hoher Prozentsatz waren Frauen, auf die Bauernhöfe verteilt. Diesen ging es meistens besser als den Arbeitern in die Fabriken, denn die Bauern behandelten häufig ‚ihre Ausländer’ wie vormals die Knechte und Mägde. Zwangsarbeiter waren ihrer Rechte gänzlich enthoben, sie durften keine Wirthäuser besuchen, kein Fahrradfahren, auch öffentliche Verkehrsmittel waren ihnen verboten, wie so vieles mehr; doch unter Todesstrafe stand sexueller Kontakt mit ‚Volkdeutschen’, damit sich ‚wertvolles’ Blut nicht mit ‚minderwertigem’ vermischt.
Doch es kam häufig dazu, so dass es bemerkenswert viele Schwangerschaften bei polnischen, russischen und ukrainischen Zwangsarbeiterinnen gab. Dr. Mauder, Reichstreuhänder für Arbeit in Südbayern, berichtete 1944 nach Berlin, dass von den 11 600 Arbeiterinnen, 383 Schwangerschaften zu melden sind. In den ersten Jahren des Krieges hatte man schwangere Zwangsarbeiterinnen in ihr Heimatland zurück geschickt, doch der Verlust der Arbeitskraft konnte nunmehr nicht verkraftet werden, so musste eine Lösung des ‚Problems’ her. Dr. Mauder schrieb weiter:
“Ein Verbleib der Frauen mit den Kindern bei den Bauern sei sowohl rassepolitisch unerwünscht, wie auch nachteilig für die Arbeitsleistung.“ Und weiter schrieb er:“ Das rassepolitische Amt der NSDAP, Gau Schwaben, hat mich ebenfalls darauf hingewiesen, dass es untragbar sei, wenn auf den Bauernhöfen fremdrassige Kinder zusammen mit deutschen Kindern aufwachsen.“
Der eifrige Dr. Mauder fand schnellstens Gehör, schon am 27. Juli 1943 hatte Heinrich Himmler, Reichsführer SS, eine Regelung erlassen, dass ‚Ausländerkinder-Pflegestätten’ zu errichten sind, in denen diese Kinder nur von Frauen ihrer Volksgruppe betreut werden dürfen. Nur äußerst wenig ist über die Ausführung dieses Erlasses heute bekannt, bekannt sind solche ‚Pflegestätten’ in Bühlerzell bei Schwäbisch Hall, aber auch in Wolfburg und in Braunschweig gab es sie, wobei davon auszugehen ist, dass es weitaus mehr gab als die heute bekannten 223. Gemeinsam haben diese ‚Pflegestätten’ ihre hohe Säuglingssterblichkeitsrate.
Im Landkreis Dachau, vor den Toren Münchens, liegt die 7 000 Seelen zählende Gemeine Markt Indersdorf. Im Kloster der Barmherzigen Schwestern waren elternlose jüdische Kinder, teilweise aus Konzentrationslagern untergebracht. Diese Schwestern mussten das Kloster 1938 binnen weniger Tage räumen. Die Gemeinde schaute dieser Vertreibung der Schwestern und der Kinder mitleidslos zu, ein paar wenige kleine Kinder konnten die Schwestern verstecken, die anderen wurden deportiert, wohin lässt sich nicht mehr aufklären.
Die Schwestern fanden in Norditalien mit einigen ihrer Schützlinge ein Unterkommen. In die Klosteranlage zog der Landesverband für Wander- und Heimatdienst (eine Organisation, die z. T. eng mit NS-Behörden, SS und Gestapo zusammenarbeitete) ein, dieser LVW leitete eine Einrichtung für Obdachlose und entlassene Strafgefangene, sowie für ‚gefährdete’ Jugendliche. Der Leiter dieser Einrichtung in Markt Indersdorf wurde zum Glück der Diakon Goller, der es bei der Partei durchsetzte, dass das Heim nach christlichen und nicht nach nationalsozialistischen Regeln geführt wurde, als Gegenleistung musste er in die NSDAP eintreten, was er auch tat. Dieser Diakon und seine tatkräftige Frau waren ein Segen für die ihm anvertrauten Männer, bis Kriegsende gab es keine Verhaftungen oder Schikanen für die Menschen.
In der Nähe dieses Klosters gab es ein halbverfallendes Haus, das der Gemeinde gehörte. Die äußeren Bereiche waren vom Kloster aus gut einsehbar. Die Gemeinde vermietete das Haus der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt, NSV, eine Gliederung der Deutschen Arbeitsfront, DAF. Wer tatsächlich verantwortlich war die Kinderbaracke in Indersdorf zu installieren kann heute nur vermutet werden, doch die Nähe zum Konzentrationslager Dachau spielt dahingehend bestimmt eine entscheidende Rolle. Zumal sich an der Peripherie der Lagers das Durchgangslager, umgangssprachlich ‚Dulag’, für ausländische Zwangsarbeiter befand.
Von diesen ‚Dulags’ gab es ca. 50-60 im gesamten ‚Deutschen Reich’. Die Kinderbaracke wurde im August 1944 errichtet und am 2. September wurde das erste Baby in die Baracke gebracht: Wassilew, Luise, geboren am 26. Juni 1944 in Dachau, 14 Tage später, am 16. September verstarb Luise. Ebenfalls am 2. September kam Anton Wozinak, geboren am 1. Juni in Pfaffenhofen, dieser verstarb am 30. September. Am 4. September kam Jewgeny Schostak, geboren am 7. Juni in Dachau, er verstarb am 19. September. Rosa Skedanenka, geboren am 24. August kam am 10 September nach Indersdorf und verstarb am 29. September.
Und so ging es weiter, die Listen wurden penibel genau geführt. Die Leiterin des [Joseph Lamzek verstorben in Indersdorf] ‚Ausländer-Pflegeheims’ war Eleonore Gratz, sie unterschrieb die standesamtlichen Einträge in der Gemeinde. Über Eleonore Gratz ist nur wenig bekannt, geboren wurde sie am 11. Mai 1914 in München, von April 1934 bis Januar 1936 arbeitete sie als Hausangestellte in verschiedenen Münchner Haushalten, dann verliert sich ihre Spur Richtung Österreich und taucht erst wieder im ‚Kinderheim’ in Indersdorf als Leiterin auf. Am 29. März 1945 ging sie Unterlagen zufolge nach Harthausen bei Bad Aibling, hier verliert sich ihre Spur gänzlich. Das Säuglingssterben ging weiter.
Elisabeth war Dienstmagd, meist auf Bauernhöfen, aber 1943 war sie in einem Münchner Haushalt angestellt und lernte dort einen Griechen kennen, einen Zwangsarbeiter. Er war der Vater ihres im Oktober 1944 geborenen Kindes. Zu diesem Zeitpunkt arbeitete sie auf dem Gut der Grafen von Spreti in Unterweilbach, nördlich von Dachau. Der Bürgermeister von Unterweilbach veranlasste Elisabeth ihr zwei Monate altes Baby nach Indersdorf bringen zu müssen. Sie erzählt:
“Er lässt den Knecht den Kutschwagen anspannen und sagt, ich soll das Kind nehmen und in Indersdorf abgeben. Was sollt ich machen. Er war Parteimitglied, ich war nichts. Wir sind hingefahren; da kam die Leiterin, die sagt zu den Helferinnen: ‚was machen wir denn, das ist doch eine Deutsche, das können wir doch nicht machen.’ Sie hat mir a Bettstadl g´zeigt. Es hat alles einen ordentlichen Eindruck g´macht, jedes Kind ein eigenes Bettchen, ein großer Wickeltisch, viele Helferinnen liefen herum. Ich leg das Kind rein, machs´s noch sauber, da lacht mich das Kind an, lacht und lacht. Ich konnt’s nicht weggehen, es hatte vorher noch nie gelacht. Der Fuhrknecht hat mich rausgeholt. Ein paar Tage später hab ich angerufen, ich wollte zu Besuch kommen, doch da ham´s g´sagt, das soll ich lassen, das wär nicht günstig. Ich habe nochmals angerufen, aber da ham´s wieder abgelehnt. Dann krieg ich auf einmal ein Schreiben, ich muss nach Indersdorf. Ich bin hin, und da ham´s mir das Kind tot hing´legt, eingewickelt. Es war über und über voll mit Kot.“
Im Sterberegister der Gemeinde steht: '26. Januar, Manfred Kraut, Todesursache: angeborene Lebensschwäche'.
Diakon Goller aus dem nahe gelegenen Kloster protestierte bei der Gemeinde Indersdorf und verlangte eine Überprüfung der Zustände im ‚Säuglingsheim’ wegen der hohen Todesrate der Babys, auch schriftliche Eingaben an höherer Stelle seinerseits blieben unbeantwortet. Über die wahre Todesursache ist bis heute nichts bekannt, eins ist nachweisbar, laut Landesernährungsamt stand Ausländerkindern pro Tag ein halber Liter Milch und ein halbes Stück Zucker zur Verfügung, bei einer solchen Ernährung mussten die Säuglinge nach einigen Monaten an Unterernährung sterben, doch die Zeitspanne von der Einlieferung bis zum Tod war zu kurz um dies als alleinige Todesursache zu betrachten. Die toten Kinder wurden auf dem kleinen städtischen Friedhof neben dem jetzigen Krankenhaus von Indersdorf begraben. Nichts deutet auf sie, wenn man diesen Ort besucht. Im Oktober 1987 wurde schließlich auf Betreiben des Pfarrers am alten Friedhof des ehemaligen Klosters ein Kreuz errichtet, zur Erinnerung an die Säuglinge der ‚Pflegeheim-Baracke’. Am Standort der ehemaligen Kinderbaracke steht heute der katholische Kindergarten des Ortes.
Nach dem Krieg legte sich ein bleiernes Schweigen über diesen Ort des Schreckens in Indersdorf. Es gibt keinen mehr der sich erinnern kann oder will. Die mit Namen bekannten Personen sind verstorben oder nicht mehr auffindbar. Bei der Gemeinde Indersdorf werden Untersuchungen, die sich auf die Mitverantwortung der Gemeinde und der Indersdorfer Bürger beziehen nicht durchgeführt.
Stellvertretend für all die Säuglinge mit gleicher Vita gedenken wir den wenigen, noch durch das Sterberegister Indersdorf bekannten Babys:
Woldodka Bocalska · Ferdinand Biuck · Annabali Chatilenko · Manina Gajewska · Rosina Gubrienka · Michael Hapaila · Lida Hortschenka · Boris-Josef Jaramij · Valentin Iwankowitsch · Nikolaus Kaval · Manfred Kraut · Leonid Kulmanskaja · Josef Lamzek · Heinrich Malek · Ceslaw Mazurek · Wanda Michalska · Valentin Migatschowa · Helena Novak · Erika Netschepurenka · Wally Popow · Johanna & Maria Pubzenka-Strischka · Jefgeny Schostak · Rosa Skedanenka · Maria Spak · Siegmund Strasak · Luise Wassilew · Jakob Wilkanovsky · Anton Wozinak · Anton Wizinak · Cila Yacuk · Eduard Zawada · Viktoria Zoladi · |
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